Die Dorschbestände in der westlichen Ostsee sind zusammengebrochen – und sie werden sich nicht erholen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, die im Wissenschaftsmagazin Scientific Reports veröffentlicht wurde. Der Artikel sorgte dafür, dass sich in den Nachrichten die Meldung verbreitete, der Dorsch würde aussterben. Zu den Schuldigen daran gehören auch Angler. Nicht nur als „Lümmel von der letzten Bank“, sondern weit vorne im Gerichtssaal.
Wird der Dorsch durch Klimawandel und Überfischung aussterben?
Aber der Reihe nach, zuallererst muss man über diese Studie nämlich einiges klarstellen. Im Kern geht es darum, dass der Dorsch in der Ostsee starken Einflüssen von Klimawandel und Überfischung ausgesetzt ist. Und diese Einflüsse sind kritisch: Wie man unter anderem bei der Tagesschau liest, sei ein „Kipp-Punkt“ erreicht, von dem sich der Bestand nicht erholen kann.
Doch dort fangen die Probleme bereits an: Erstens liefert die Studie selbst keine neuen Erkenntnisse zum Thema, und zweitens ist sie nicht stichhaltig. Das hat das Thünen-Institut in einer umfangreichen Stellungnahme gezeigt. Man springt also vorschnell auf einen Zug auf, der womöglich in eine falsche Richtung fährt.
Das Johann Heinrich von Thünen-Institut (kurz Thünen-Institut, TI) wurde im Jahr 2008 gegründet und forscht zur Weiterentwicklung von Land-, Forst- und Holzwirtschaft sowie zur Fischerei. Als Bundesforschungsinstitut erarbeiten die etwa 600 Beschäftigten wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfen für die Bundesregierung. Dazu gehört auch die Befischung des Dorsches in der Ostsee. |
Dass zum Beispiel das Klima einen Einfluss auf die Fischbestände hat und haben wird, ist in der Wissenschaft längst akzeptierter Fakt. Doch in den Medien zu behaupten, der Dorsch würde dadurch aussterben, ohne dass die Studie einen klaren Zusammenhang zeigt, ist erst einmal nur das: eine Behauptung. Ist zum Beispiel das Wasser zu warm, gibt es zu wenig einströmendes Salzwasser aus der Nordsee? Fragen wie diese müssen geklärt werden, um einen eindeutigen Zusammenhang herzustellen.
Fangdaten aus den Neunzigern
Gleiches gilt für die Fischerei – und hier wird es für uns Angler besonders interessant. Die Studie stellt Überfischung als einen klaren Faktor für die Problematik dar. Dabei stützt sie sich auf veraltete Fangdaten aus den 1990er Jahren, obwohl sich der Bestand heute deutlich genauer untersuchen lässt. Neben weiteren Faktoren (die Fischerei werde zum Beispiel nicht reguliert und die Flotte würde wegen ausbleibender Fänge schrumpfen) und fragwürdigen Formulierungen (die Dorsche können „nicht mehr brüten“ – seit wann machen sie denn sowas?) sticht eine Sache ins Auge: das Angeln.
Angler sollen 50 Prozent aller Dorsche entnehmen
Angler sind laut der Studie für 50 Prozent der Entnahmen verantwortlich. Heißt auf gut Deutsch: Auf jeden Dorsch, der von kommerzieller Fischerei entnommen wird, kommt einer, den ein Angler mit nach Hause nimmt. An der Realität geht das jawohl vorbei. Und zwar meilenweit. Wir sind zwar gut, aber doch nicht so gut. Und welchen Sinn hätte dann überhaupt das „Bag Limit“, das seit einigen Jahren vorgeschrieben ist?
Das Thünen-Institut hat diesem Verhältnis konkrete Zahlen gegenüber gestellt. Im Jahr 2021 hat die kommerzielle Fischerei etwa 4.600 Tonnen an Dorschen aus der Ostsee gefangen. Auf Angler entfallen etwa 1.300 Tonnen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren es 9.100 Tonnen in der Fischerei, 2.600 durch das Angeln.
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Ein erster Blick zeigt schon, dass heute weniger Dorsch gefangen wird als noch 2011. Die Verhältnisse sind aber gleich geblieben – und von Fifty-Fifty kann nicht die Rede sein. Richtig wäre 78 zu 22 Prozent, da kommen wir schon eher zusammen. Wenn Angler den Dorsch aussterben lassen wollten, müssten sie sich also schon deutlich mehr „ins Zeug legen“.
Mal wieder dürfen Angler den Kopf hinhalten
Jetzt könnte man es damit ja gut sein lassen. Den Streit wird ja auf anderen Ebenen ausgetragen; das „Zerpflücken“ der Studie hat das Thünen-Institut bereits übernommen. Das eigentliche Problem ist damit aber noch nicht gelöst – denn in Wahrheit geht es nicht um Zahlen, sondern um das Image des Angelns an sich. Das zeigt sich vor allem durch die Berichterstattung über die Studienergebnisse, nicht durch die Studie selbst. Dadurch kam die Meldung, der Dorsch würde aussterben, erst auf.
Fakt ist: Wissenschaftliche Texte genießen einen gewissen Vertrauensvorschuss – und das auch völlig zurecht. Der Diskurs wird im Nachhinein zeigen, wie haltbar die Thesen zum vermeintlichen Aussterben des Dorsches sind. Dennoch bieten die Zahlen idealen Nährboden, um Anglern eine „Pauschalschuld“ daran zu geben – und das ist krass. Eine ganze Fischart stirbt aus, weil die bösen Angler den Hals nicht vollkriegen. Ja vielen Dank auch.
Ich kenne persönlich niemanden, der sich groß über das Bag Limit für den Dorsch aufgeregt hätte. Angler stecken bei Themen wie diesen meist bereitwillig zurück, weil ihnen das große Ganze und vor allem das Wohl der Fische und der Natur am Herzen liegt. Aber es wird immer diejenigen geben, die das entweder nicht berücksichtigen oder einfach nicht wahrhaben wollen.
Achtung: In einer früheren Fassung des Artikels war zu lesen, dass in der Studie selbst vom Aussterben des Dorsches die Rede ist und man Anglern die Schuld daran gibt. Das ist nicht korrekt. Dieses falsche Bild entstand erst durch die Verbreitung der Meldung, der Dorsch sterbe aus, in den Nachrichten. Wir haben die entsprechenden Stellen angepasst. |
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