Im Jahr 2015 hatte Hakan Stenlund, schwedischer Autor bei FliegenFischen, die Gelegenheit, Patagonia-Gründer Yvon Chouinard zu treffen. Bei ihrem Gespräch in Argentinien ging es um Yvons Kindheit, das Fliegenfischen sowie die Gründung, den Aufstieg und auch den Beinahe-Niedergang seiner Firma Patagonia.
Yvon Chouinard: Dieser Mann schwimmt gegen den Strom
Endloser Wind pfeift über die Ebene im östlichen Argentinien. Ein harter, eiskalter Wind, der schäumende Wellen peitscht. Patagonien – der Treffpunkt mit dem Patagonia-Gründer hätte passender nicht sein können. Yvon Chouinard, Jahrgang 1938, watet mürrisch ans Ufer. Die Meerforellen-Fischerei am Rio Gallegos ist träge, das drückt auf die Stimmung. Am nächsten Pool montiert er eine Sinkschnur und knüpft eine große schwarze Tubenfliege ans Vorfach. Die Guides raten für diese Zeit der Saison das genaue Gegenteil. Mit dem fünften Wurf hakt er eine Meerforelle von 18 Pfund, das fühlt sich an wie ein Wendepunkt. Die Schritte zurück zur Lodge sind deutlich beschwingter. Den nächsten Tag beginnt er mit einem wunderschönen, 22 Pfund schweren Rogner – der schwersten Meerforelle seines Lebens. Der Fisch ging auf die gleiche schwarze Tubenfliege, und Yvon ist plötzlich ein glücklicher Mann.
„Er fischt wie ein zum Tode Verurteilter“
Ich fische seit 14 Jahren mit Yvon, aber ich habe ihn selten so gut gelaunt gesehen. Der Autor Thomas McGuane, ein anderer guter Freund von Yvon, hat in einem Interview gesagt: „Wenn alles glatt läuft und ohne Schwierigkeiten, wird er leicht reizbar. Einmal fischten wir am Dean River in British Columbia. Ich hatte einen Koch angeheuert, das ärgerte Yvon ziemlich. „Einen Koch?“, sagte er, und beim nächsten Mal? Vielleicht einen Friseur?“
Bill Taylor, der Präsident der Atlantic Salmon Federation, hat Yvon Chouinard einmal in einer Ansprache am treffendsten charakterisiert: „Yvon fischt wie ein zum Tode Verurteilter, der gerade erfahren hat, dass heute sein letzter Tag ist – der Unterschied ist nur, so fischt Yvon jeden Tag.“
Kein Handy, kein Computer, kein Büro
Einer von Yvons Grundsätzen, die er sich beim Angeln angeeignet hat, lautet: Man sollte immer sein Bestes versuchen und jeder Wurf zählt. Umgekehrt sieht es beim Klettern aus, eine von Yvons Leidenschaften. Hier lernt man zu allererst, dass man niemals seine Grenzen überschreiten soll. Man kann bis an die Grenzen gehen, vielleicht könnte man sie sogar ein wenig verschieben, aber es kann fatal enden, wenn man sie überschreitet. Nach diesen beiden Philosophien hat Yvon sein Leben gelebt und seine Firma aufgebaut.
Wir gehen zum Frühstück in die Lodge Estancian Los Buitreras. „Na, wo hast du in letzter Zeit gefischt?“, frage ich. „Ich war auf den Bahamas mit Lefty Kreh“, antwortet er. „Dann in Wyoming, dort haben wir ein Haus. Und dann war ich in British Columbien, aber hauptsächlich, weil „Patagonia“ dort ein Projekt betreibt, um zu beweisen, dass nachhaltige Berufsfischerei auf Lachs möglich ist. Schau doch mal bei Google unter Patagonia Provisions, wenn du Zeit hast.“ – „Du meinst also, ich soll das mal googeln?“, frage ich ein wenig anzüglich. „Ja, du gehörst doch zu den Typen, die sowas machen“, spottet er und grinst.
Man muss wissen: Yvon kein Handy, er hat kein Büro und hat noch niemals einen Computer angefasst! Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hat sich Patagonia seit 40 Jahren ständig aufwärts entwickelt. Aber das war nicht immer ein Zuckerschlecken. Wer intensiv lebt, der weiß, dass ab und zu Unwetter kommen.
20 bis 30 Prozent Wachstum bei Patagonia – das konnte nicht gut gehen
Der „Schwarze Dienstag“, wie Yvon den Tag nennt, ist ein gutes Beispiel. Er musste an diesem Tag in den 80iger Jahren 120 Mitarbeiter entlassen. Eine längere Zeit fuhr die Firma wie auf Schienen mit jährlichen Zuwächsen von 20 bis 30 Prozent, aber das Geld wurde nicht vernünftig investiert. Stattdessen haben wir diese gewaltigen Zuwächse wie selbstverständlich eingeplant. Die Firma fuhr mit überhöhtem Tempo. Als plötzlich die Krise kam, wollten die Banken von heut auf morgen all ihr Geld zurück haben – fast wäre das der Tod der Firma gewesen. „Das war verrückt. 20 bis 30 Prozent Wachstum…“, schüttelte Yvon den Kopf. „Wie konnten wir so blind sein und glauben, das würde immer so weiter gehen.“
Patagonia kehrte zu seinem Kern zurück
Nach der Nahtod-Erfahrung fand Patagonia seine Wurzeln wieder und kehrte zurück zu seinem ursprünglichen Kern. In ihren Anfängen stand die Marke Patagonia für Haltbarkeit, Nachhaltigkeit und Freiheit, doch dann kam auf einmal zu viel vom schnellen, leichten Geld und der Eigner reiste mit Fliegenrute und Surfbrett in der Welt herum. Heute wird die Philosophie „Jeder Wurf zählt“ auf jedes einzelne Produkt von „Patagonia“ angewendet. Im ersten Katalog nach den Entlassungen hieß es etwas gewagt: „Die Frage ist nicht, ob Du dieses Produkt haben willst, sondern ob Du es brauchst.“ Ein gefährlicher Slogan für eine Firma, die damals jeden Pfennig nötig hatte, um zu überleben.
Yvon lächelt, wirkt dabei jedoch ernst: „Trotz der schwierigen Zeit ist Patagonia ein Begriff geblieben, ein Versprechen. Ein Ausdruck dafür, dass unsere Kunden kritisch sind und die Umwelt schützen, darauf bin ich stolz…“ „Trotz der scherzhaften Wortspiele Pradagonia und Patagucci…?“ Schlagartig ist Yvon ziemlich erregt: „Genauso würde man uns verspotten, falls uns die Wall Street in die Finger bekäme! Wir würden Handtaschen und Sonnenbrillen herstellen und männliche Parfums kreieren. Kein solides, strapazierfähiges, verlässliches Gerät. Wir wären nur ein Name, für den man zu viel Geld bezahlt. Ich hasse diesen Gedanken!“, bekräftigt er und fügt hinzu: „Wer braucht eigentlich eine neue Handtasche?“
Yvon Chouinard machte Patagonia zur Weltmarke
Yvons Unternehmerleben begann ziemlich früh. Die Familie zog aus dem französischsprachigen Maine nach Kalifornien, weil sie glaubte, das Klima wäre dort besser für das Asthma des Vaters. Yvon Chouinard war der Kleinste in seiner neuen Klasse, er sprach Französisch und hatte einen „wunderlichen“ Namen. Statt ein Held auf der Schulbank zu werden, flüchtete er in den Wald und verließ die Schule ohne Examen. Er begann eifrig zu klettern, brachte sich selbst das Schmieden bei und fand bald heraus, dass er aus Hinterachsen alter Autos bessere Sicherungen für Bergsteiger herstellen konnte als die aus Europa importierten. Er gründete die Versandfirma „Chouinard Equipment“ und stellte Sicherungen und Felshaken her, die das Gestein schonten. Die Sicherungen wurden unter dem Slogan „Clean Climbing“ gehandelt, damit waren Charakter und Weg der Firma vorgezeichnet. Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein wollte man den Kunden vermitteln, das war die klare Linie.
Die Marke ist ein Zufallsprodukt
Die Bekleidungsmarke Patagonia ist, nimmt man es genau, ein Zufallsprodukt einer Kletter-Tour: Yvon entdeckte farbige Rugby-Trikots in Schottland, die ihm fürs Klettern geeignet erschienen. Sie bestanden aus unverwüstlichem Material. Die übliche Bekleidung fürs Klettern war grau und trist. Die schottischen Trikots sprangen dagegen ins Auge, alle Welt wollte sie haben. Bald sah Yvon Chouinard ein, dass es klug war, Bekleidung und „Hardware“ voneinander zu trennen. Man brauchte einen Namen für die Abteilung Bekleidung, die Wahl fiel auf Patagonia – denn bei diesem Namen denken die Menschen an unvergessliche Abenteuer.
So geht es auch: ökologische Baumwolle und alte Plastikflaschen
Patagonia entschloss sich schnell, ausschließlich organische Baumwolle (biologisch angebaut, ökologisch hergestellt) zu verarbeiten. Wohlgemerkt zu einer Zeit, als es kaum möglich war, ausreichende Mengen organischer Baumwolle zu bekommen. Yvon fühlte, dass sie nicht länger unreine Baumwolle verarbeiten konnten, damit war die Entscheidung für ihn einfach: Entweder ökologische Baumwolle – oder gar keine Baumwolle! Das schuf einen Markt, auf den mehrere große Firmen folgten. H&M zum Beispiel ist heute der größte Käufer von organischer Baumwolle auf der Welt. „Patagonia“ verwendet auch kein Gore-Tex für seine technische Bekleidung, obwohl das wahrscheinlich 20 bis 30 Prozent Umsatz kostet.
„Gore-Tex ist ein gutes Produkt“, stellt Yvon fest, „doch für uns ist es nicht gut genug, aus Gründen des Umweltschutzes. Wir wiederverarbeiten unsere Produkte und waren die ersten, die alte Plastikflaschen verwertet haben, um daraus Bekleidung herzustellen. Nun sind wir auch die ersten, die H²NO Membranen für technische Bekleidung erneut verarbeiten. Das ist mit Gore-Tex nicht möglich. Gore-Tex ist die stärkste Marke in unserem Markt-Segment. Das muss nicht heißen, dass sie immer die besten Produkte herstellen …“, betont Yvon.
Wenn alle denken würden wie Yvon Chouinard, liefe einiges anders
„Voriges Jahr habe ich ein Vorwort geschrieben“, erzählt Yvon, „für ein Buch über Eis-Klettern, ein großes Buch für den Kaffee-Tisch, in dem alpine, vergletscherte Landschaften vorgestellt werden. Ich habe daraufhin Nachforschungen über Gletscher angestellt, auf denen ich in den 1960iger bis 1970iger Jahren geklettert bin. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass viele von ihnen teilweise oder sogar völlig abgetaut waren. Der Gletscher Diamond Colouir in Kenia ist zum Beispiel völlig verschwunden“, sagt er betrübt. „Es wird eine Zeit „nach den fossilen Brennstoffen“ kommen und darauf will Patagonia vorbereitet sein, auch wenn das bedeutet, dass man vor Ort produzieren muss.“
Yvon wird in diesem Punkt sehr deutlich: „Nehmen wir ein Baumwollhemd von Patagonia. Die Baumwolle wird in der Türkei angebaut. Von dort transportiert man sie zur Verarbeitung nach Europa. Das gewebte Tuch fliegt nach Asien, wo man die Bekleidung daraus näht. Das fertige Hemd landet schließlich im Patagonia-Lager in Kalifornien. Von dort wird die Ware in die ganze Welt verteilt, auch wieder nach Asien und Europa. Ist das nicht, vorsichtig gesagt, eine idiotische Verschwendung von Ressourcen …?“
Yvon Chouinard und Patagonia sind dem Umweltschutz verschriebenBereits im Jahr 1985 setzte Patagonia ein deutliches Zeichen und verpflichtete sich freiwillig, einen Teil des Gewinns an Umweltschutzgruppen zu spenden. Heute spendet Patagonia mindestens 1 Prozent des Umsatzes. Seit Beginn dieses Programms hat Patagonia mehr als 1.000 Organisationen mit über 58 Millionen US-Dollar unterstützt! Von „Wohltätigkeit“ will man bei Patagonia in diesem Zusammenhang jedoch nichts hören. Denn dieser Firma ist bewusst, dass sie für die Herstellung ihrer Produkte Ressourcen nutzt und Abfall verursacht. Man ist sich der negativen Auswirkungen auf die Umwelt bewusst und fühlt sich verantwortlich. Patagonia unterstützt mit dem Programm daher in erster Linie kleine Umweltschutzgruppen, die Basisarbeit leisten und dafür Mitmenschen mobilisieren, Gruppen, die strategische Maßnahmen ergreifen, um den Lebensraum, wilde Naturlandschaften und die Artenvielfalt zu schützen. Auch interessant
Gründer spendete die FirmaSeit September 2022 gehen sämtliche Gewinne, die Patagonia erzielt, an den Umwelt- und Klimaschutz. Gründer Yvon Chouinard spendete das inzwischen 3 Milliarden Dollar schwere Unternehmen vollständig der Stiftung Holdfast Collective. „Wir werden den Wohlstand nutzen, den Patagonia schafft, um die Quelle allen Wohlstands zu schützen“, schrieb Yvon in einem offenen Brief auf der Website von Patagonia. |