Es ist 4 Uhr morgens am 1. Mai. Mit müden Augen rudert der Angler in die flache Bucht. Zack. Zack. Links. Rechts. Links. Rechts. Der chartreusefarbene Rücken des Jerkbaits ist im Flachwasser trotz des noch schwachen Lichts gut zu erkennen. Die neue Hechtrute, die seit Weihnachten im Angelkeller bereitsteht, absolviert ihre ersten Würfe mit Bravour. Langsam schiebt sich die Sonne über die Baumreihe der Schilfbank gegenüber. Ein fantastischer Sonnenaufgang kündigt sich mit den ersten orangen Strahlen an, die wie Lichtschwerter durch den Morgennebel schneiden, der sich über die ruhige Bucht gelegt hat.
Eine silbergrüne Flanke blitzt auf, ein Ruck fährt durch die Rute, der bis in den Ellbogen spürbar ist. Am anderen Ende kocht das Wasser. Ein erster Mai wie aus dem Bilderbuch, ein Saisonstart nach Maß. Darauf hat der Angler den ganzen Winter hingefiebert. Der Fisch liegt sicher im Kescher, und unser Angler muss sich für eine Minute auf die nasskalte Ruderbank setzen, um seinen Herzschlag zu beruhigen und den Moment wirken zu lassen.
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Ich kann einfach nicht auf den Mai warten!
Viele Angler begrüßen die Schonzeit als Zwangspause, um sich auf DEN Tag des Jahres vorzubereiten. Um ihn zu zelebrieren, um ihn zu genießen. Ich kann das absolut verstehen – aber für mich ist das nichts. Ein Genießer war ich noch nie. Dafür bin ich zu zielorientiert und vielleicht auch ein bisschen zu zappelig. Muss ich ja zugeben. Ich gebe mich häufig mit der einfachsten und effektivsten Lösung zufrieden. Hunger? Mir reichen Spaghetti mit Ketchup. Hechte? Mir reicht ein Saisonstart mit Schneeregen im Februar. Es ist lange her, dass ich ein solches Mai-Märchen, wie oben beschrieben, erlebt habe, denn ich kann einfach nicht so lang warten.
Mein Saisonstart verläuft in der Regel in einer kalten, matschigen, nassgrauen Atmosphäre. Entweder im Januar oder im Februar. Vor einigen Jahren fing ich meinen ersten Hecht zum Beispiel gleich am 3. Januar, einen Meterfisch mit der Fliegenrute. Eiskalte Füße, Hände und Ohren dank eines pfeifenden Ostwindes inklusive.Und so hat der magische 1. Mai für mich hechttechnisch an Bedeutung verloren. Häufig findet man mich nun im Karpfenzelt – denn Anfang Mai ist eine richtige Topzeit für besonders schwere Karpfen.
Eine Sache vom magischen Mai ist dennoch geblieben: Das frühe Aufstehen. Denn fast jedes Jahr werde ich im Morgengrauen aus meinem Karpfenzelt geklingelt, weil ein motivierter Hechtangler meine Schnur an der Uferkante eingefangen hat. Ich kann’s ja verstehen …