Kannibalen-Jagd

Der kleine Gummi-Hecht fand einen hungrigen Abnehmer - und zwar aus den eigenen Reihen.

Sind unsere Raubfische Kannibalen? Lassen sie sich mit Imitaten oder toten Ködern der eigenen Art besonders gut fangen? Der Kannibalen-Jäger Martin Wehrle gibt Antworten.

Als ich den Barsch vom Spinner löse, traue ich meinen Augen kaum: Aus seinem Schlund schimmert mir ein rötliches Bündel entgegen. Fünf kleine Schwanzflossen! Mit der Arterienklemme greife ich zu – und schwupps, schon flutschten mehrere 6 bis 7 Zentimeter lange Bärschlein aus dem Maul. Offenbar war der Barsch einem Fressrausch verfallen, als er meinen Köder nahm. Das Opfer Nummer sechs des Kannibalen war aus Metall: ein Vibrax-Spinner mit Barschdekor. Wenn es einen Kannibalen unter den Raubfischen gibt, der mit System der eigenen Gattung auflauert, dann ist es der Barsch. Für ihn ist die Versuchung am größten: Dichte Schwärme winziger Artgenossen schwimmen ihm ständig vorm Maul herum. Oft bevorzugen die Mini-Barsche und die größeren Fische dieselben Plätze. Ein Barsch muss also nicht gemein sein, um zum Kannibalen zu werden – er müsste dumm sein, um es nicht zu werden. Aber ist der Barsch überhaupt ein selektiver Fresser? Dass er eigene Artgenossen jagt, heißt ja noch lange nicht, dass er zu dieser Zeit kleine Weißfische oder einen Barschköder mit silbernem Dekor verschmäht. Das stimmt an guten Beißtagen. Aber wenn es schlecht beißt, kann ein Köder mit Barsch-Muster einen entscheidenden Vorsprung bringen.

Spinner im Stachelräuber-Design sind erfolgreich, weil große Raubfische auf kleine Barsche stehen.

Original oder Fälschung Ob Twister, Blinker oder Spinner: barschähnliche Farben mit gestreiftem Dekor passen ins Beutemuster der Kannibalen. An etlichen Tagen werden sie beherzter als typische Barschköder mit (silber-)glänzendem Muster genommen. Naturköder-Liebhaber vertrauen auf Mini-Barsche. An Plätzen, wo diese Köderfische auf die Senke gehen, kreisen im tieferen Wasser meist auch stattliche Barsche. Stehen die Räuber in kurzer Entfernung, lässt sich ein totes Bärschlein mit vorgeschaltetem Bleischrot weit genug werfen und dann über den Grund zupfen. Dieses Angebot macht die Barsche verrückt, erst recht, wenn Sie das Einhol-Tempo wechseln: Mal spurtet der Fisch ein paar Meter, dann legt er eine Pause ein, hüpft träge. Meist kommen die Bisse beim Tempowechsel. [box_block_title title=“Wichtig: „]Sie müssen vor dem Anhieb ein paar Sekunden Schnur geben. Denn der Köderfisch wird nur mit dem Einzelhaken durch beide Lippen befestigt, der Barsch braucht etwas Zeit, um ihn komplett ins Maul zu bekommen.[/box_block_title] Hecht auf Abwegen Wenn der Barsch schon ein Kannibale ist – wie steht es dann mit dem Hecht? Richtig ist: Er verschmäht einen Artgenossen nicht, wenn ihm der vors Maul schwimmt. Das wird bei der Hechtzucht deutlich: Wenn die Fische nicht gefüttert werden, fressen sie sich solange gegenseitig auf, bis nur noch ein paar fette Hechte übrig bleiben.

Lediglich in der Laichzeit sind Hechte „freundlich“ untereinander. Sobald die Paarungszeit vorbei ist, kenne sie keine Gnade mehr und fressen ihre eigenen Artgenossen.

Aber trotzdem sollte man folgendes bedenken: Da es im Verhältnis zu Schwarmfischen wie Barsch oder Rotauge nur eine winzige Zahl kleiner Hechte gibt, und da diese Mini-Hechte noch dazu gut getarnt sind, kommt es ziemlich selten zu kannibalischen Übergriffen. Warum sollte sich der Hecht auch das Leben schwer machen, indem er zwanghaft nach eigenen Artgenossen sucht? Andere Futterfische schwimmen ständig in Reichweite! Allerdings funktionieren Kunstköder mit Hechtmuster zu gewissen Zeiten dennoch recht gut, besonders nach der Schonzeit. Der Hecht nimmt einen vermeintlichen Artgenossen nicht nur als mögliche Nahrung wahr – er sieht ihn auch als Konkurrenten, als Eindringling ins eigene Revier und will ihn „verbeißen“. Wobbler und Gummifische mit Hechtmuster sind an bissarmen Tagen immer einen Versuch wert. Denn auch ein satter Fisch ist noch aggressiv genug, sein Revier zu verteidigen. Schnelle Forelle Bei der Bachforelle sieht die Sache anders aus als beim Hecht: Meist lebt sie im Forellenbach, einem Revier, in dem es nur selten Weißfische und Barsche gibt. Die Forellen sind in der Überzahl, oft auch unter den fingerlangen Fischen. In manchen Bächen gibt es gar keine Kleinfische wie Koppe und Elritze, andernorts sind sie deutlich seltener als die Forellen. Es gilt die Regel: Die häufigste Nahrung wird auch am häufigsten gefressen. Deshalb greife ich unter allen Ködergattungen gerne auf Bachforellen-Imitate zurück. Ob der weiße Blinker mit den roten und schwarzen Punkten, der Gummifisch mit dem Bachforellen-Dekor oder das Forellen-Imitat von Peter Biedron aus meiner Wobblerkiste. Mit all diesen Ködern habe ich schon stattliche Bachforellen gefangen, vor allem auf überfischten Strecken, wo die herkömmlichen Köderfarben nichts mehr bringen.

Gepunktete Gummifische sind ein selektiver Köder für große Salmoniden.

Auch Fliegenfischer sollten einmal überlegen: Wäre es nicht sinnvoll, den gängigen Koppen-Streamer durch ein Bachforellen-Muster zu ergänzen? Ein solcher Köder könnte für kapitale Überraschungen sorgen. Ich führe meine Forellen-Nachbildungen dicht am Grund, wo sich auch der Nachwuchs der Forelle bewegt, meist ruckartig und auf kurzen Schwimmstrecken. Schwärmende Zander Während Hecht und Bachforelle Einzelfische sind, handelt es sich beim Zander um einen Schwarmfisch. Das gilt auch für den Nachwuchs. Wer oft Köderfische senkt, hat gelegentlich ein Grüppchen fingerlanger Zander auf der Senke. Allerdings: Bis dieser Tag kommt, hat man hundertmal Rotaugen und Barsche an die Oberfläche geliftet. Diese Fischarten kommen in deutlich größeren Mengen vor. Daraus lässt sich ableiten: Auch der Zander wäre dumm, würde er sich beim Fressen auf die eigenen Artgenossen spezialisieren. Lieber pflückt er sich jene Schwarmfische heraus, die im Gewässer am häufigsten sind. Mal Rotaugen, mal Barsche, mal Lauben. Ist es also vergebene Angelmüh, den Zander mit Nachbildungen der eigenen Art zu beangeln? Nicht ganz, denn es gilt derselbe Grundsatz wie beim Hecht: Die Räuber haben es nicht gern, wenn ihnen ein eigener Artgenosse allzu nahe kommt. Gerade nach der Laichzeit. Deshalb greift der Naturzander den Kunstzander manchmal auch dann an, wenn sein Magen gar nicht knurrt. Für ihn ist das ein Beißreflex – für uns ist das ein Biss!

Ein kleines Zanderimitat fängt, weil die Räuber keine kleinen Artgenossen in ihrer Nähe dulden.

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