Ich bin in meinem Leben schon viel auf dieser Welt herumgekommen und habe auf meinen Reisen bereits einige Meere befahren, eines schöner als das andere. Doch die Farbe des Atlantik rund um die Azoren übertrifft alles bisher Gesehene. Dieses tiefe, strahlende Azurblau ist etwas ganz besonderes. Ich kann mich kaum daran sattsehen, bin fasziniert von diesem Farbton, in dem das Meer hier erscheint.
Und in diesem schier unendlich tiefen Wasser gibt es noch etwas, das blau und sehr schön anzusehen ist: „Home of Giants“ wird diese Gegend hier genannt – das Zuhause der blauen Giganten.
Schon die Landung war turbulent
Es war Anfang August, als wir den Flughafen von Horta ansteuerten. Die Landung viel wieder ziemlich turbulent aus. Das kannte ich schon, denn vor elf Monaten, bei meinem ersten Flug auf die Azoren, herrschten hier ähnliche Bedingungen. Der oft starke Wind macht es den Piloten nicht gerade leicht, die Maschine sanft aufzusetzen. Aber das ist hier Routine und ich wurde auch schon von meinem Captain darauf vorbereitet, dass mich derartige Wetterverhältnisse bei meiner Ankunft erwarten werden. Meine einzige Sorge war, dass dieser Wind noch länger andauern und uns schlimmstenfalls vom Angeln abhalten könnte. Das wäre bitter… Gerade wenn man so einen weiten Weg auf sich nimmt, ist jeder Angeltag kostbar.
Lukas Folk, mein Freund und Captain auf dieser Big Game-Angeltour, empfing mich zum wiederholten Male auf der Insel Faial, seinem saisonalen Domizil. Er würde wissen, was zu tun ist. Lukas und ich kennen uns schon länger, da wir aus derselben Gegend in Österreich kommen, und haben auch schon die ein oder andere gemeinsame Angelsession hinter uns. Am Po in Italien durfte ich ihn schon zum ein oder anderen Wels guiden und vor knapp einem Jahr führte er mich zu meinem ersten Blauen Marlin.
Das war der Hammer und ein langjähriger Traum ging für mich in Erfüllung. Doch damit hatte ich nicht genug. Die Lust auf spektakuläre Marlin-Drills war nicht gestillt, ganz im Gegenteil – sie war gerade erst geboren! Ich ging dem Ruf nach und so fand ich mich wieder, hier an diesem entlegenen Ort mitten am azurblauen Atlantik.
Nachdem ich mein Quartier bezogen hatte, telefonierte ich mit Lukas. Es war erst Mittag und der Plan war, spontan zu entscheiden, ob wir nachmittags noch für ein paar Stunden zum Meeresangeln rausfahren, oder nicht. Leider waren die Bedingungen laut Lukas’ aktuellem Wettercheck sehr schlecht und so riet er davon ab, heute noch aufs offene Meer hinauszufahren, auf dem meterhoher Seegang herrschte. Auch gut! Für mich war also erstmal ein Schläfchen angesagt.
Marlin-Tag 1: Lagebesprechung statt angeln
Wir trafen uns später zur Lagebesprechung beim Abendessen. Zu meiner Freude war Lukas (relativ) positiv gestimmt, was das Angeln in den nächsten Tagen betraf. „Es wird ungemütlich werden, sollte aber doch machbar sein“, waren seine Worte. Lukas verfügt über langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Hochseeangelei. Sein Spezialgebiet: „Giant Blue Marlin“. Er angelte bereits an allen bekannten Big Game-Hotspots weltweit und das sehr erfolgreich.
Die Azoren haben es ihm ganz besonders angetan. Jedes Jahr verbringt er drei Monate auf der Insel Faial, und das seit 12 Jahren. Ich wusste, dass ich mich voll und ganz auf ihn verlassen konnte und ich war mir ganz sicher, dass ich in den nächsten Tagen mindestens einmal ein blaues Wunder erleben werde. Wir verabredeten uns also für den nächsten Morgen im Hafen, bei Lukas’ Boot.
Horta, Azoren: ein Ort mit Geschichte und Tradition
Lukas’ Boot, die „Habitat“, liegt umgeben von den hohen Mästen zahlreicher Segelboote in der Marina von Horta, einem sehr bekannten Ort unter Seeleuten. Diese nautische Infrastruktur ist die moderne Verlängerung eines Hafens und einer Bucht mit jahrhundertelanger Bedeutung. Ihre Lage bietet einen optimalen Schutz gegen Wind und Wellen aus allen Himmelsrichtungen und macht sie somit seit jeher zu einem wichtigen Ankerplatz bei Überfahrten über den Nordatlantik.
Heutzutage bietet sich der Hafen, der bis zu 300 Schiffe aufnehmen kann, vor allem für hunderte von Yachten aus aller Herren Länder an, die auf ihrer Atlantiküberquerung, mit der nach Osten wehenden Westdrift, einen Zwischenstopp auf den Azoren einlegen. Außerdem finden hier jedes Jahr einige internationale Regatten statt, was Horta zu einem Treffpunkt von vielen internationalen Segelwettbewerben macht.
Die kleine Marina ist ein Ort mit Geschichte, doch nicht nur zu, sondern auch unter und über Wasser hatten die Azoren aufgrund ihrer Lage mitten im atlantischen Ozean, schon immer eine wichtige Bedeutung. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verband das erste Unterseekabel, mit Zwischenstopp Faial, die beiden Kontinente und in den 30er Jahren landeten die ersten Transatlantikflüge im Linienverkehr mit Wasserflugzeugen im Hafen von Horta.
Die Marina ist ein ansehnlicher Ort, überall spürt und sieht man das maritime Flair. Sie ist seit 1987 Inhaberin der Blauen Flagge von Europa, die als Gütesiegel für einen nachhaltigen Tourismus dient. „Peter’s Café Sport“, das zentral in der Marina liegt, gilt als Treffpunkt, insbesondere in der weltweiten Segel-Szene. Das Café feierte kürzlich 100-jähriges Jubiläum.
Im angrenzenden „Scrimshaw-Museum“ kann man die Geschichte des Ortes hautnah erleben und bestaunen. Ausgestellt ist hier hauptsächlich Kunsthandwerk aus Walfischknochen, außerdem finden sich viele gesammelte, historische Zeitungsartikel über die Azoren. Auch die Mole der Marina von Horta ist sehenswert. Sie stellt seit geraumer Zeit eine große Leinwand für Bilder dar, die alle von hier anlegenden Seeleuten gemalt wurden.
Der Blaue Marlin auf den Azoren
Dass sich Lukas gerade die Azoren als Standort für sein Unternehmen „Habitat Sport Fishing“ ausgesucht hat, hat natürlich seinen Grund. In den drei Monaten von Anfang Juli bis Anfang Oktober besteht hier ein sehr großes Aufkommen an Blauem Marlin. Einzigartig ist vor allem die Größe und das extrem hohe Durchschnittsgewicht der Fische, was die Azoren laut Lukas zu einem „sensationellen Gebiet“ macht.
Kleine Exemplare fängt man hier selten, und darum wird die See rund um die Azoren „Home of Giants“ genannt. Warum das so ist, weiß niemand ganz genau. Vermutungen gehen dahin, dass einerseits die geografische Lage, sowie der Einfluss diverser Meeresströmungen rund um die Azoren, und andererseits das erhöhte Nahrungsangebot für das hohe Aufkommen verantwortlich sind.
Der Marlin ist nicht bedroht
Der Blaue Marlin ist keine vom Aussterben bedrohter Fischart. Er wächst relativ schnell und ist bereits nach wenigen Jahren geschlechtsreif. Die Reproduktion verläuft also zügig, vor allem im Vergleich mit anderen Meeresbewohnern, die dafür weitaus längere Zeitspannen benötigen.
Außerdem ist der Preis aufgrund der geringen Bekanntheit dieses Fisches als Speisefisch (zumindest was den Großteil der Weltbevölkerung betrifft) im Vergleich zu anderen Fischarten sehr niedrig, die dadurch für den kommerziellen Fischfang deutlich attraktiver und rentabler sind, wie zum Beispiel Thunfische oder Schwertfische.
Was ist so besonders an den Azoren?
Die neun Hauptinseln, die den azorischen Archipel bilden, sind allesamt vulkanischen Ursprungs. Es herrscht ozeanisch-subtropisches Klima, und sowohl zu Land wie auch zu Wasser findet man eine sehr reichhaltige Artenvielfalt vor. Besonders an den Azoren ist unter anderem, dass die Inseln ringsum nahezu senkrecht auf bis zu 2000 Meter Tiefe abfallen und vor allem, dass sich hier einige Untiefen, beziehungsweise kilometerlange Bänke auftun, die sich stellenweise steil auf bis zu 200 Meter unter der Wasseroberfläche erheben.
Aufgrund der Verwirbelungen, die an solchen Bereichen immer entstehen, sammelt sich hier das Plankton, welches durch die Strömungen nach oben gedrückt wird. Dieses erhöhte Nahrungsaufkommen zieht die Fische natürlich an – die kleinen wie auch die großen.
Hochseefischen auf Marlin: Timing ist alles
Das heißt jetzt aber nicht, dass es so einfach sei, hier einen Blauen Marlin zu überlisten. Man muss bedenken, dass der Fisch nur über einen sehr kurzen Zeitraum in der obersten Wasserschicht frisst. Genau diese, extrem kurze Zeitspanne muss ein Captain auf Marlin-Suche treffen! Hier auf diesem wahnsinnig tiefen, azurblauen Ozean, gilt es mehr als bei jeder anderen Angelei: Du musst zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Und das waren wir! Nicht nur einmal…
Endlich stechen wir in See!
Der nächste Morgen war sonnig, klar und, zumindest im Landesinneren, windstill. Ich machte mich auf den Weg in Richtung Hafen und traf mich auf der Habitat mit der Crew – Captain Lukas und Maat Patrick. Die beiden waren bereits seit Anfang der Saison gemeinsam am Start. Patrick kommt aus Amerika, genauer gesagt aus Florida, wo er auch schon einige Blaue Marlins gefangen hat. Außerdem hat er selbst Marlin-Köder entworfen, die er und Lukas gerade testeten. Die beiden trafen noch letzte Vorbereitungen am Boot, dann stachen wir in See.
Sobald wir den geschützten Hafenbereich verlassen hatten, musste ich feststellen, dass das Meer doch nicht so ruhig war, wie ich eigentlich gehofft hatte. Aber ich wusste, dass ich mich voll und ganz auf den Captain verlassen konnte. In weniger als einer Stunde erreicht Lukas mit der Habitat, die er stark motorisiert hat, zwei der vielversprechendsten Gebiete für das Angeln auf Blauen Marlin: die Azoren-Bank und die Condor-Bank. Je nach Gegebenheiten, Fangberichten und Gefühl steuert er meist eine dieser beiden Unterwasser-Erhebungen an. Heute wollte er zunächst mal die Azoren-Bank abfischen.
Schleppfischen auf den Azoren-Marlin
Lukas betreibt das typische Schleppfischangeln, bei dem speziell für die Marlin-Jagd entwickelte Schleppköder mit einer Geschwindigkeit von circa acht Knoten hinter dem Boot nachgeschleppt werden. Das Angeln mit Kunstködern zieht Lukas vor, zumindest auf den Azoren, denn nur so kann er mit einer relativ hohen Geschwindigkeit das jeweilige Angelgebiet abfahren und somit die Fische finden. Die Suche nach den blauen Giganten ist hier somit viel effektiver als es mit Lebendködern der Fall wäre, denn mit lebenden Fischen könnte er die gewünschte Geschwindigkeit einfach nicht fahren.
Auf dem Weg zum Gebiet bereitete Patrick die Angeln und die Köder vor, welche anschließend mittels linkem und rechtem Ausleger perfekt aufgefächert in circa 10 bis 20 Metern Entfernung hinter dem Boot platziert wurden. Die letzte Angel wurde noch auf lange Distanz in der Mitte gespannt, und fertig! Mit fünf „scharfen“ Angeln auf dem Atlantik unterwegs – nun konnte jederzeit ein Einschlag kommen!
Ein herrlicher Tag am Meer
Mit Lukas’ Boot kann man nicht nur gut Fische fangen, es ist auch sehr geräumig, verfügt über ein großes Cockpit und zwei bequeme Liege- oder Sitzflächen am Außendeck. Der Innenbereich bietet weitere Liege- und Sitzflächen sowie eine kleine Küchennische. Nachdem wir den Hafen vor Horta hinter uns gelassen hatten, begab ich mich zu Captain Lukas ans Steuerrad. Sein Blick wechselte ständig zwischen Echolot und Wasseroberfläche. Konzentriert zog er seine Bahnen entlang der erhabenen Strukturen der Bänke.
Er hielt auch immer Ausschau nach Vogelschwärmen auf der Wasseroberfläche, da Vögel natürlich immer auf ein erhöhtes Fischvorkommen hindeuten können. Patrick hat unter anderem stets die Köder im Auge, um sicherzugehen, dass alle dort sind, wo sie sein sollen und dass sie auch „sauber“ sind, also nicht verheddert und frei von vorbeitreibendem Müll oder anderen Dingen, die den Köder und/oder den Haken blockieren könnten.
Der Motor brummte. Die Sonne brannte. Die Wellen schaukelten das Boot. Der Seegang am offenen Meer war an diesem Tag zwar beachtlich, aber soweit nicht bedenklich. Mit der „Drei-Punkte-Regel“, also immer jeweils drei Gliedmaßen an fixen Punkten, konnte man sich noch relativ gut und sicher am Boot bewegen. Die Stunden vergingen, und schon war es Abend geworden. Der erste Angeltag verlief soweit ereignislos. Es war ein schöner Tag am Meer.
Die magischen Worte beim Angeln auf Marlin: „Bite! Bite!“
Am nächsten Morgen steuerte Captain Lukas die Condor-Bank an. Es war die richtige Entscheidung, wie sich bald herausstellen sollte…
Es war am frühen Nachmittag, ich blickte gerade gedankenverloren über die Wasseroberfläche, da hörte ich Lukas plötzlich rufen: „Bite! Bite! Fish on!“ Der Biss kam auf die kürzeste Rute und in diesem Moment sah ich den Blaue Marlin auch schon direkt hinter dem Boot springen. Dann tauchte er wieder ab und die Spule surrte wie wild. Adrenalin schoss mir ins Blut.
Den folgenden Ablauf kannte ich zwar schon vom Vorjahr, dennoch war die Situation nicht minder spannend für mich. Sobald ein Fisch angebissen hat, wird es immer kurzfristig stressig am Boot. So schnell wie möglich werden zunächst alle anderen Angeln eingeholt. Der Angler, in dem Fall ich, platziert sich auf dem Kampfstuhl. Ist alles soweit, legt der Captain den Retourgang ein und steuert das Boot in Richtung Marlin.
Und da war er auch schon wieder: Unweit vom Boot tänzelte ein riesiger, schimmernder Fisch einige Sekunden lang die Wasseroberfläche entlang. Dann tauchte er wieder ab und nahm Schnur. Auf den Spulen befinden sich zwar deutlich mehr als 500 Meter, doch die wickeln sich schneller ab als man denkt, wenn der Fisch erstmal Gas gibt. Mein Auftrag lautete nun, den wilden Marlin unter Kontrolle zu bekommen und die Spannung zu halten.
Blauer Marlin im Drill
Ein Marlin-Drill ist Ganzkörpertraining vom Feinsten. Vor allem, wenn man noch dazu den starken Wellengang permanent ausgleichen muss, der auch an diesem Tag die Habitat in alle Richtungen schaukelte. Als Waller-Guide bin ich es zwar gewohnt, dicke Fische zu drillen, aber was hier beim Hochseeangeln abgeht ist noch einige Nummern größer! Und dieser Bursche hat ganz schön gekämpft! Aber nach einer guten Stunde war er soweit und tauchte neben dem Boot auf. Ein wunderschönes Exemplar mit geschätzten 250 Kilo, der gleich wieder released wurde.
Catch & Release auf Marlin
Unterstützt wird Catch & Release beim Angeln auf Blue Marlin unter anderem durch das offizielle Reglement der IGFA (International Game Fish Association, Sitz in Fort Lauderdale, Florida), das unter anderem besagt, dass der Fisch als gefangen gilt, sobald ein Mann aus der Crew das Vorfach unter dem Wirbel einmal berührt, sofern die Absicht besteht, den Fisch wieder zurückzusetzen. Besteht jedoch die Absicht, den Fisch zu entnehmen, muss der Drill bis zum Ende gehen, ansonsten gilt er nicht als gefangen.
Erfolg auf ganzer Linie
Alle schlugen ein. „Good job, man!“, lobte Patrick meinen Drill. Alle waren „happy“: Ich, weil ich gerade einen kapitalen Blue Marlin erfolgreich gedrillt habe. Patrick, weil der Biss auf einen seiner selbst entworfenen Köder kam und Lukas, weil der Marlin auf die kürzeste Rute, direkt hinter dem Boot gebissen hatte. Das bedeutete nämlich, dass die Habitat in Bezug auf Motorengeräusche und andere mögliche Störfaktoren den Marlin nur peripher tangierte. Nun ist diese Tatsache sehr wichtig, denn das erste, was ein sich nähernder Marlin, der von Natur aus ein neugieriges Verhalten an den Tag legt, wahrnimmt, ist nicht etwa der Köder, sondern das Boot beziehungsweise dessen Motorengeräusche.
Unter Marlin-Anglern wird vermutet, dass ein rund laufender Motor einen Marlin eher nicht abschreckt, als das bei einem stotternden, scheppernden Motor der Fall wäre. Ich fand es sehr interessant, als Lukas mir das so erzählte. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass an der Habitat alles stimmte und dieser Umstand ließ ihn äußerst positiv auf diese Saison blicken, die ja größtenteils noch vor ihm lag. Im Endeffekt war dieser Fang wirklich ein Erfolg auf der ganzen Linie!
„Ist das unser Marlin?“
Noch am selben Nachmittag spielte sich ein ähnliches Szenario auf der Habitat ab. Der Biss kam aus dem Nichts und im selben Moment sah ich auch schon einen funkelnden Fischkörper aus dem Wasser aufsteigen. Es handelte sich wieder um einen richtig guten Blauen Marlin. Dasselbe Prozedere wie vor ein paar Stunden lief noch einmal ab. Alle hatten sich positioniert und unsere Blicke waren geradeaus hinters Boot gerichtet, wo der Fisch eigentlich sein sollte. Da sah ich plötzlich im Augenwinkel links von mir, dicht neben dem Boot etwas aus dem Wasser steigen, auf mich zukommen und wieder abtauchen. „Hey!“, rief ich. „Ist das unser Marlin, da links!?“
„Verdammt … ja!“, antwortete Lukas. Der Fisch war in weitem Bogen um das Boot geschwommen, das sollte nicht passieren! Für einen kurzen Moment brach Panik aus, doch Lukas reagierte schnell. Er manövrierte die Habitat gekonnt, und nach ein paar Schrecksekunden waren wir auch schon wieder direkt vor dem Fisch. Alles gut! Der Drill dauerte fast so lange wie bei dem ersten Fisch und er war auch wieder circa in derselben Gewichtsklasse. Wahnsinn! Oder „Awesome!“, wie Patrick zu sagen pflegte.
Was war das für ein Tag auf den Azoren!
Ich war erschöpft, aber überglücklich… Diese Reise hatte sich somit für mich schon mehr als ausgezahlt. Alles was jetzt noch folgen sollte, wäre eine schöne Draufgabe. Und irgendwie hatte ich es im Gefühl, dass da auf jeden Fall noch was kommen würde… Aber zunächst war erstmal Pause angesagt. Die Wetterverhältnisse machten uns zwei Tage lang einen Strich durch die Rechnung und wir beschäftigten uns demnach (gezwungenermaßen) mit kulturellen Dingen und waren sogar im Museum.
Außerdem nutzte ich die Zeit, um mir das erste Videomaterial anzusehen. Am nächsten Morgen fuhren wir zwar raus, steuerten jedoch zu Mittag wieder in Richtung Hafen. Bei diesem Seegang wäre ein vernünftiger Drill mit einem kapitalen Fisch nicht mehr möglich gewesen – beziehungsweise einfach nur eine Tortur.
Auch beim Angeln auf Marlin: Das Beste kommt zum Schluss
Am letzten Angeltag hatte sich die See zum Glück einigermaßen beruhigt. Lukas entschied sich dafür, wieder zur Condor-Bank zu fahren. Es dauerte nicht lange und siehe da: Wir bekamen einen Biss und sogleich sahen wir einen Fisch aus dem Wasser aufsteigen. Er kam zwar nicht gänzlich zum Vorschein, aber der Teil den wir sahen, war mächtig. Lukas vermutete schon, dass dieses Exemplar etwas größer sein würde als die ersten beiden Fische dieser Woche.
Nach einer guten Stunde ließ sich der Marlin kurz an der Oberfläche blicken. Er war aber noch nicht soweit und tauchte gleich wieder ab, um kurz darauf den nächsten Sprung hinzulegen. Doch wieder kam er nicht zur Gänze aus dem Wasser. Die Größe und das Gewicht dieses Exemplars war wirklich schwer einzuschätzen, aber Patrick meinte auch: „Looks like a really good one!“ – „Sieht aus wie ein richtig Guter!“
Bald darauf war wieder das Vorfach zu sehen und der Fisch kam in Sichtweite. Einige Sekunden schwamm er sehr nahe beim Boot, sodass wir die dunkelblaue Silhouette unter der Wasseroberfläche relativ gut erkennen konnten. Nun wussten wir mit Sicherheit: Dieser Marlin hier war definitiv größer als die ersten beiden.
Vier Stunden Drill
„Takes line!“, rief Lukas. Patrick, der kurzerhand das Steuer übernommen hatte, lenkte die Habitat in Richtung Fisch. Sobald dieser stoppte, kurbelte und pumpte Lukas was ging. Nach einigen Minuten konnten wir wieder das Vorfach sehen. Ich dachte schon: „Das war’s jetzt wahrscheinlich, jetzt ist er soweit…“ Doch der Drill war noch lange nicht vorbei. Erst sage und schreibe vier Stunden nach dem Biss tauchte der Marlin hinter dem Boot auf. Er war schlussendlich im Drill verendet. Der mächtige Fischkörper wurde sogleich am Boot festgemacht und in den Hafen gebracht. Wenn so etwas passiert, wird das Fleisch bedürftigen Menschen auf der Insel gespendet.
Ein Blauer Marlin von 508 Kilogramm
Doch zuvor wurde er noch gewogen, denn bei so einer Größe interessiert man sich in der Szene sehr für das genaue Gewicht des Fisches. Als der Marlin angehoben wurde, zählte die Waage hinauf: 300, 400, 450, 500 … und blieb erst bei unglaublichen 508 Kilogramm stehen! „Was? Wieviel?“ Lukas traute seinen Augen nicht. Ein Grander!? Hatten wir wirklich einen Grander gefangen? Oh yeah! Zur Erklärung: Als „Grander“ werden Blaue Marlins mit über 1.000 Pfund, also 454 Kilo bezeichnet.
Es war unglaublich und vor allem für Lukas ein Fang mit sehr großer Bedeutung. Für ihn war dieser Fisch der dritte Grander, den er in seinem Leben als Angler gefangen hat, was wirklich eine „High Class“-Leistung ist. Sie müssen wissen, es gibt nicht viele Menschen, die das von sich behaupten können. Vor allem gibt es weltweit derzeit nur einen Menschen, der bereits fünf Grander Blue Marlin gefangen hat. Lukas ist ihm dicht auf den Fersen! So ging ein mehr als gelungener Angeltrip zu Ende. Ich bedanke mich bei Lukas und Patrick für die geile Zeit und die unglaublichen Drills. Es war bestimmt nicht das letzte Mal!
Drei wichtige Dinge im Drill mit einem Marlin
- Kommunizieren Sie mit dem Captain! Der Angler muss im Drill permanent mit dem Captain sprechen, denn dieser muss wissen, ob der Fisch Schnur nimmt, oder nicht, um das Boot dementsprechend zu manövrieren.
- Spannung halten! Der Marlin darf während des Drills absolut keinen Spielraum bekommen, sonst besteht die Gefahr, dass er den Haken, der in dem harten, knochigen Fischmaul oft nicht gut zum Sitzen kommt, mittels heftiger „Head Shakes“ abschüttelt. Kurbeln und Pumpen was das Zeug hält, so lautet die Devise.
- Behalten Sie die Umgebung im Auge! Es kann jederzeit passieren, dass der Marlin Schwert voraus aus dem Wasser schnellt, eventuell auch in Richtung Boot.