Fischkiemen und Ohren: Eine gemeinsame Evolution
Die Evolution ist bekannt dafür, alte Strukturen oder Gene für neue Aufgaben zu nutzen. Ein besonders Beispiel für diese „Wiederverwendung“ ist die Entwicklung des menschlichen Außenohrs, das eng mit den Kiemen der Fische verbunden ist. Diese faszinierende Entdeckung wird durch eine neue Studie untermauert, die aufzeigt, wie das zugrunde liegende genetische Netzwerk, das Fischkiemen bildet, auch für die Entwicklung der Ohrknorpel von Säugetieren verantwortlich ist.
Die Studie, die in Nature veröffentlicht wurde, belegt, dass der elastische Knorpel der Fischkiemen eine enge Entsprechung im Außenohr von Säugetieren hat. Auch wenn die Kiemen und das Außenohr unterschiedliche Funktionen erfüllen – die Kiemen ermöglichen das Atmen, während das Außenohr Schallwellen aufnimmt – ist das zugrunde liegende genetische Netzwerk, das diese Strukturen aufbaut, weitgehend dasselbe. Dies zeigt, dass sich die Evolution auf ein gemeinsames genetisches Erbe stützt, um verschiedene Anpassungen an Umwelt und Lebensweise vorzunehmen.
Laut Gage Crump, Stammzellbiologe an der University of Southern California, basiert die Entwicklung der Ohrstrukturen von Säugetieren auf einem ursprünglichen genetischen Programm, das ursprünglich die Kiemen von Fischen bildete. „Das Programm zum Heranwachsen einer Knorpelstruktur in diesem Bereich des Kopfes ist tief konserviert“, erklärt Crump. Der Knorpel im Außenohr von Säugetieren entwickelte sich im Laufe der Evolution weiter und nahm dabei eine Vielzahl von Formen an, die sich den akustischen Bedürfnissen der Tiere anpassten.
Vorhandene genetische Netzwerke
Die Studie unterstreicht, wie die Evolution auf bereits vorhandene genetische Netzwerke zurückgreift, um neue Strukturen zu bilden. Im Fall des Außenohrs wurden die gleichen Gene genutzt, die ursprünglich zur Bildung der Kiemen in Fischen dienten. Dies ist ein beeindruckendes Beispiel für die Flexibilität der Evolution und wie frühere biologische Strukturen immer wieder umfunktioniert werden, um neue Funktionen zu erfüllen.
Spezielle Form von Knorpel wurde entdeckt
Interessanterweise wurde auch eine spezielle Form von Knorpel entdeckt, die in den Ohren vieler Säugetiere vorkommt: der sogenannte Lipoknorpel. Diese Struktur, die mit Fettzellen gefüllt ist, könnte entscheidende akustische Vorteile bieten, wie zum Beispiel eine verbesserte Schallwellenübertragung. Der Zellbiologe Maksim Plikus und sein Team an der University of California in Irvine vermuten, dass Lipoknorpel eine Anpassung an die akustischen Anforderungen von Säugetieren darstellen könnte, insbesondere bei Tieren, deren Überleben stark von der Fähigkeit abhängt, Geräusche zu hören.
Schlussfolgerung
Diese wissenschaftlichen Entdeckungen werfen ein neues Licht auf die Entwicklung von Säugetieren und ihrer besonderen Anpassungen im Bereich der Sinneswahrnehmung. Sie zeigen, wie tief die Ursprünge der Tiere in der Evolution verwurzelt sind und wie ein genetisches Netzwerk über Hunderte Millionen Jahre hinweg genutzt wurde, um sowohl die Kiemen von Fischen als auch die Ohren von Säugetieren zu formen.
Quelle: Callier, Viviane. Wissenschaftlicher Amerikaner, Veröffentlichung am 01.12.2024.Crump, Gage. „Eine neue Studie über die Evolution von Fischkiemen und Säugetierohren.“ Nature, 2024.