Fangflotten ziehen heute kleinere Fische als früher aus den Weltmeeren. Selektive Fischerei greift direkt in die Evolution ein. Folge: Weltweit schrumpfen die Fische, der Kabeljau ist fast nur noch halb so groß wie vor 70 Jahren.
Die weitaus häufigste Todesursache für Speisefische ist schon längst nicht mehr das Maul eines Hais, sondern die Netze und Haken der Fangflotten. Dadurch verändert der Mensch aber die durchschnittliche Größe der Fische. Beispiel Dorsch: Seit Jahrzehnten holen die Fangflotten vor allem die großen Exemplare aus dem Wasser, weil sie am meisten Geld bringen. Doch Dorsche werden erst beim Erreichen einer bestimmten Größe geschlechtsreif. In Gegenden ohne Fischerei legten Kabeljauweibchen ihre ersten Eier daher früher erst, wenn sie mindestens einen Meter lang waren. Weil die großen Kabeljaus aber abgefischt werden, bleiben die Fische unter ihnen übrig, die aus der Reihe tanzen und zum Beispiel bereits mit einer Länge von 65 Zentimetern laichen. Weil die nun seltener als ihre größeren Artgenossen gefangen werden, vermehren sich diese kleinen Fische besser und übernehmen in der Dorschwelt rasch die Mehrheit. Diese Annahme ist keine nackte Theorie, sondern lässt sich in der Realität beobachten. Um diesen Effekt in den betroffenen Beständen umzukehren, müsste der Fischfang weltweit drastisch reduziert werden, fordern die Wissenschaftler. Oder zumindest müssten die Fische geschont werden, die gerade geschlechtsreif werden. Weil natürliche Faktoren aber viel schwächer wirken als der menschliche Einfluss, dauert es viel länger, um das Schrumpfen der Körpergröße wieder rückgängig zu machen. IIASA-Forscher Ulf Dieckmann hat mit Computermodellen ausgerechnet, dass die Dorsche 250 Jahre brauchen würden, um ihre alte Durchschnittsgröße wieder zu erreichen, die sie noch vor 40 Jahren hatten. Jedes Jahr bis zur Reduktion der Fangzahlen kostet die Evolution demnach sechs Jahre, um den Eingriff der Fischer wieder rückgängig zu machen. Genau wie ihre Kollegen auf dem Meer könnten auch die Angler und Fischer an den Flüssen und Seen die Evolution beeinflussen, vermutet Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität in Berlin. Vor allem die Angler üben hier möglicherweise einen Einfluss aus, weil sie Wert auf kapitale Fische legen. Dem Hecht könnte also die gleiche Entwicklung wie dem Dorsch drohen, zeigen Modellrechnungen und Langzeitstudien in England. Dass diese Rechnungen so nicht aufgehen müssen, zeigen z. B. die Fangmeldungen im „Fisch der Woche“: Die Zahl der Einsendungen großer Fische ist unabhängig von der Zahl der Leser über die Jahre gleich geblieben. Im Gegenteil: Beim Karpfen ist ganz klar fest zu stellen, dass die Zahl der Kapitalen mit den Jahren zugenommen haben.