Felchenmast im Bodensee: Fischproduktion steht in Kritik

Die geplante Felchenmast im Bodensee scheint noch lange nicht vom Verhandlungstisch zu sein. Angler, Umweltschützer und auch der weitaus größte Teil der ansässigen Berufsfischer wehrt sich gegen die von Politik und Investoren geplante Fischmast in Netzgehegen. Diese Art der kommerziellen Fischproduktion ist stark in der Kritik und könnte erhebliche, nicht absehbare Folgen für Deutschlands größten Trinkwasserspeicher haben. Von Lars Berding und Johannes Radtke

Felchenmast im Bodensee: Es brodelt am Bodensee. In dem gesunden Gewässer, das als Trinkreservoir dient, sollen bald Netzkäfige mit Millionen Felchen schwimmen. Foto: pb

Es brodelt am Bodensee. In dem gesunden Gewässer, das als Trinkreservoir dient, sollen bald Netzkäfige mit Millionen Felchen schwimmen. Foto: pb

Streit um die Zukunft eines unserer wertvollsten und prominentesten Gewässer: Auf der einen Seite steht eine mächtige Allianz aus einer Vielzahl von Vereinen und Interessengruppen, auf der anderen eine Gruppierung von Investoren, die politische Unterstützung bekommen. Es geht um eine geplante Felchenmast im Bodensee mit schwimmenden Netzkäfigen. Wenn es nach den Befürwortern geht, sollen jährlich 600 Tonnen der edlen Coregonen produziert werden.

Die Gegner der Pläne sind Angler, Natur- und Tierschützer, Sportbootfahrer, Taucher, der größte Teil der ansässigen Berufsfischer und viele weitere Menschen, die sich dem Bodensee verbunden fühlen. Die Befürworter sind eine kleinere Gruppierung aus Investoren, einigen Berufsfischern und weiteren Einzelpersonen. Dieser Zusammenschluss hat politische Unterstützung: Im Koalitionsvertrag der baden-württembergischen Landesregierung ist eine Felchenmast erwähnt.

Felchemast im Bodensee steht in Kritik

Diese Art der kommerziellen Fischproduktion ist stark in die Krtik geraten und könnte nicht absehbare Folgen für Deutschlands größten Trinkwasserspeicher haben – und dabei ist der See gerade erst auf dem Weg der Genesung. Der einst glasklare und gesunde See war in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts übermäßig mit Nährstoffen belastet. Trübes Wasser, Sauerstoffarmut und extreme Algenblüten waren einige Folgen, er drohte gar umzukippen – eine inakzeptable Situation.

Sauberes Wasser mit geringen Nährstoffgehalten ist unerlässlich für ein intaktes Ökosystem Bodensee. Und so hat man sich daran gemacht, die Wasserqualität zu verbessern. Heute ist der Bodensee einer der größten Trinkwasserspeicher im Dreiländereck – so sauber wie seit 60 Jahren nicht mehr. Touristen und Badende freuen sich über glasklares Wasser. Fisch aus dem See gilt als besonders gesunde Delikatesse.

Der See wird intensiv genutzt, im Sommer sind hunderte boote unterwegs. Die Kollisonsgefahr mit den Netzkäfigen ist groß. Foto: pb

Der See wird intensiv genutzt, im Sommer sind hunderte boote unterwegs. Die Kollisonsgefahr mit den Netzkäfigen ist groß. Foto: pb

Vier Felchen-Arten im Bodensee

  • Bodenseefelchen (Blaufelchen, Coregonus wartmanni) – häufig um 40 Zentimeter – am häufigsten vorkommende, mittelgroße Felchenart des offenen Freiwassers, die sich dort vor allem von Plankton, Insektenlarven und gelegentlich Brutfisch (vor allem Barschen) ernährt. Laicht nahe der Oberfläche im offenen See. Bestände und Durchschnittsgrößen gingen wegen der verringerten Produktivität des Sees zurück.
  • Sandfelchen (Weißfelchen, Coregonus arenicolus) – häufig um 50 Zentimeter – seltenere und größer werdende Felchenart, die ihre Nahrung in eher flacherem Wasser am Seegrund sucht. Dort frisst sie vor allem Muscheln und Schnecken, aber auch Insektenlarven und Krebstierchen. Laicht am Seegrund im flachen Wasser. Der Bestand scheint sich dank der verbesserten Wasserqualität recht positiv zu entwickeln.
  • Gangfisch (Coregonus macrophthalmus) – häufig um 25 Zentimeter – die zweithäufigste Felchenart lebt in Ufernähe und bleibt eher klein, sie ernährt sich vorwiegend von Plankton und Insekten. Laicht ufernah auf Substrat im See oder zieht dafür in Zuflüsse.
  • Kilch (Coregonus gutturosus) – um 30 Zentimeter – verschollene und wahrscheinlich aufgrund der Nährstoffeinträge in den 70er Jahren ausgestorbene „Tiefsee-Felchenart“.
Es gibt mehrere Felchenarten im Bodensee. Foto: BLINKER/H. Frei

Es gibt mehrere Felchenarten im Bodensee. Foto: BLINKER/H. Frei

Steigender Tourismus, weniger Felchen

Sauberes Wasser kommt im Wesentlichen durch einen geringeren Phosphorgehalt im Wasser zu Stande. Das bedeutet weniger Nährstoffe, weniger Algen, weniger Zooplankton und somit auch weniger Nahrung für Fische. Die gesamte Biomasse des Sees nimmt zunächst erst einmal ab. Und so wird das vorbildlich saubere Wasser verantwortlich dafür gemacht, dass aktuell der Fischbestand, besonders jener der so beliebten Felchen, rückläufig ist.

Berufsfischer bekamen die Auswirkungen besonders deutlich zu spüren. Ihre Fänge gingen in den vergangenen Jahren deutlich zurück. Durch den boomenden Tourismus steigt jedoch der Bedarf an frischen (Bodensee-)Felchen.  Jedes zweite Felchen, was heute in den zahlreichen Restaurants auf den Teller kommt, stammt nicht mehr aus dem Bodensee, sondern aus ausländischen Aquakulturen.

Wegen solcher leckeren Felchen-Gerichte strömen zahlreiche Touristen an den Bodensee. Foto: BLINKER/A. Jagiello

Wegen solcher leckeren Felchen-Gerichte strömen zahlreiche Touristen an den Bodensee. Foto: BLINKER/A. Jagiello

Aquakultur im Bodensee?

Durch Felchenmast im Bodensee soll jetzt die Nachfrage lokal befriedigt werden. Dabei haben Erfahrungen in der ganzen Welt gezeigt, dass Netzkäfig-Aquakulturen riesige Probleme mit sich bringen können. Entflohene Zuchtfische gefährden durch Kreuzung mit Wildfischen die lokalen Populationen. Probleme durch Parasiten und Krankheiten, Medikamente und Antibiotika sowie Nährstoffeinträge sind weitere Begleiterscheinungen der allermeisten Netzkäfig-Aquakulturen. Die Zuchtanlagen selbst stellen eine Einschränkung in der Freizeitnutzung und der optischen Attraktiviät von Gewässern dar.

Berufsfischer haben oft einen schweren Stand, wo große Aquakulturanlagen ihren Zielfisch in Mengen produzieren. Häufig führt die Fischproduktion zu einer Verdrängung der angestammten Fischerei. Gerade am Bodensee wäre das schade, ist die Fischerei hier doch nachhaltig und ein Teil des Erscheinungsbildes – auch für die Zigtausenden Touristen. Die Berufsfischer bekamen die Auswirkungen bereits deutlich zu spüren. Die Erträge gingen in den vergangenen Jahren deutlich zurück. Die berühmten Bodenseefelchen sind zwar kerngesund, wachsen jedoch deutlich langsamer.

Alternativen für die Felchenmast im Bodensee

Geschlossene Gewässer mit einem sogenannten Teich im Teich System in der Nähe des Bodensees wären sicherlich eine deutlich nachhaltigere Variante. Hier wären die ökologischen Risiken wesentlich besser zu kontrollieren. Zudem würde das Landschaftsbild des Bodensees nicht beeinträchtigt und die natürlichen Bestände der Bodenseefelchen nicht gefährdet. Als völlig risikofreie Lösung für eine Fischmast bieten sich zudem geschlossene Kreislaufanlagen an, die abgekoppelt von natürlichen Gewässern als in sich geschlossenes System funktionieren.

Im Interview zur Felchemast im Bodensee: Thomas Lang, ASV Konstanz, LFV Baden-Württemberg
ThomasLang_Interview

Sehr geehrter Herr Lang, würden Sie kurz erklären, was Sie zum Experten in Sachen Bodensee macht?

„Ich bin an seinen Ufern aufgewachsen und habe das Angeln hier gelernt. Im ASV Konstanz bin ich seit einer Ewigkeit in der Fischbrutanlage, später als Gewässer- und Naturschutzwart tätig und im Landesverband als Natur- und Artenschutzreferent. Auch in Naturschutz-Vereinen engagiere ich mich. Ich finde, dass beim Schutz eines Gewässers der Blick nicht an der Oberfläche enden darf.“

Wie schätzen Sie die Bestandssitaution des Bodenseefelchens ein?

„In den letzten Jahren ist der Bestand rasant zurückgegangen. Früher gab es auch starke Schwankungen, aber besser abwachsende Fische. War ein einjähriges Felchen in den Achtzigern fast 30 Zentimeter groß, ist es heute bei gleicher Länge fast dreimal so alt.“

Wodurch kommt die Situation zustande?

„Zu den ärgsten Zeiten lag der für die Produktivität verantwortliche Phosphorgehalt bei 80 Mikrogramm je Liter – ein Albtraumwert für den Bodensee. Wir hatten berechtigte Angst, dass der See umkippt! Doch die Fische hatten reichlich Nahrung. Durch sehr umfangreiche Einrichtungen wie eine Ringkanalisation und die Errichtung von vielen Klärwerken haben wir heute nur noch ein Zehntel dieser Werte. Der See hat wieder einen P-Gehalt entsprechend einem ursprünglichen Voralpensee – produziert dadurch aber leider auch weniger Fisch.“

Und Fischer sowie Angler gucken in die Röhre – müssen wir dauerhaft mit so geringen Fängen am Bodensee leben?

„Ich bin fest davon überzeugt, dass die aktuelle Situation nicht der Endzustand ist. Das gesamte System befindet sich im Umbruch. Ist doch auch klar – bei einem so gigantischen See braucht es Zeit, bis sich die Nahrungsnetze auf grundlegend veränderte Bedingungen eingestellt haben. Zum Beispiel stellen die großen Sandfelchen gerade ihre Nahrung von Plankton auf andere Fischnährtiere am Gewässerboden um. Der See ist mitten im Umbruch – und in dieser empfindlichen Entwicklungsphase will man jetzt Massentierhaltung im See betreiben.“

Was halten Sie von der Idee, im Bodensee Felchen in Netzgehegen zu produzieren?

„Grundsätzlich habe ich kein Problem mit Aquakultur. Aber in diesem speziellen Fall kann ich die Pläne nur ablehnen! Das einmalige Ökosystem Bodensee als Versuchsfläche für ein abenteuerliches Projekt nutzen zu wollen, ist doch Wahnsinn! Unser gerade gesundender, größter Voralpensee ist viel zu wertvoll, um ihn schwer kalkulierbaren Risiken auszuliefern.“

Was für Risiken sind das denn?

„Futter: Bisher ist fast nichts darüber bekannt, welches Futter eingesetzt werden soll – nur dass es „ungefährlich“ sei. Krankheiten: Felchen sind extrem krankheitsanfällig – kaum auszudenken, was in einem Netzkäfig bei hoher Besatzdichte passiert und welcher Medikamenteneinsatz nötig sein wird – vor allem bei der angestrebte Produktionsmenge von 600 Tonnen. Reinigung der Netze: Auch dies ist bisher nicht geklärt – es gibt grausige Szenarien im Ausland mit dem Einsatz von Kupfer-Verbindungen oder Antifouling. In der Folge stirbt fast sämtliches Leben am Seegrund unter der Anlage. Entkommene Zuchtfische: Was passiert, wenn sich Zuchtfisch mit den Wildfischen kreuzt – sie werden es tun, das zeigen Beispiele aus Netzkäfig-Aquakulturen weltweit. Schließlich werden schon seit einiger Zeit Elterntiere für die Produktion gezüchtet und selektiert – dabei entfernt sich deren Genetik natürlich ganz erheblich vom Wildbestand. Massenproduktion: Wer garantiert, dass es bei 600 Tonnen bleibt, wenn das System tatsächlich rentabel sein sollte – sobald Geld ins Spiel kommt, geraten Umweltbedenken ja meist ins Abseits.“

Gibt es denn keine Erfahrungswerte aus anderen Anlagen dieser Art?

„Doch, als Referenz für die Produktion im glasklaren Bodensee werden Anlagen aus Finnland herangezogen. Dort werden die Maränen in torfigem Wasser mit sehr geringen Sichttiefen und gänzlich anderen Klima- und Wasserparametern produziert. Wo ist da die Vergleichbarkeit? Somit würde die Produktions- zur Versuchsanlage – und das im Bodensee – unverantwortlich!“

Wird denn gegen die Pläne vorgegangen – und sind Sie alleine mit Ihrem Standpunkt?

„Gott sei Dank nicht! Wir haben eine einzigartige Allianz geschmiedet: Wasserversorger, BUND, NABU, Global Nature Fund, WWF, Angel-, Sportboot- und Tauch- Vereine, die Verbände der Berufs scher, natürlich der Landesfischereiverband Baden-Württemberg und viele weitere Organisationen stehen in einer Front gegen die Pläne. Wir konnten sogar ein gemeinsames Positionspapier vorlegen. Inzwischen gibt es viele weitere Protestschreiben und -Initiativen. Das ist vielleicht das beste an dieser Krise: Wir alle sind für den See zusammengerückt.“

Was wären denn denkbare Alternativen zu Netzkäfigen im See?

„Wirklich sinnvoll wären Kreislaufanlagen an Land oder aber Netzkäfige in einem geschlossenen Gewässer. So gäbe es nur geringe Risiken für Bodensee und Umwelt.“

Warum macht man das nicht einfach?

„Der Grund ist ganz banal und wirtschaftlicher Natur – die Marke „Bodenseefelchen“ soll erhalten bleiben. Dafür werden die immensen Risiken in Kauf genommen.“

Warum werden die Pläne denn gegen all die Widerstände vorangetrieben – wer steckt dahinter?

„Das ist ganz komisch: Eigentlich soll das Projekt für die Berufs scher am Obersee durchgeführt werden – um den verringerten Wildfang auszugleichen. Gerade die lehnen es aber fast geschlossen ab. Hinter dem Ganzen steckt eine seltsame Allianz: ein paar wenige Berufs scher aus dem Untersee, ein Forellenzüchter aus dem Schwarzwald und ein Fischvertriebler. Mir ist diese Entwicklung äußerst suspekt, welches Interesse haben diese Akteure an einem gesunden und intakten Obersee?“

Dieser Artikel stammt aus dem BLINKER-Magazin 07/2017. Diese und noch viele weitere spannende Themen findet Ihr in diesem Heft. Erhältlich ab dem 21. Juni 2017

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