Kontroverse: Ist der Karpfen in Deutschland heimisch?

Der Karpfen gehört hierzulande zu den beliebtesten Angel- und Speisefischen. Um den populären Fisch ist jedoch eine hitzige Debatte entbrannt: Gehört der Karpfen in unsere Gewässer oder ist er in Deutschland eine invasive Art? Karpfen-Experte Sebastian Schmidt ist der Sache – einmal ganz ohne Blei und Boilie – auf den Grund gegangen.

Karpfen unter Wasser

Bild: Rostislav

Beliebt – und irgendwie doch nicht gewollt? Gehören Karpfen in unsere heimischen Gewässer? Hierzulande ist eine hitzige Debatte über seine Daseinsberechtigung entbrannt.

Gehörst du hier eigentlich her? In den zurückliegenden Jahren entbrannten zunehmend Diskussionen um die Daseinsberechtigung vermeintlich nicht heimischer Fischarten in deutschen Gewässern. Neben durchaus problematischen Arten, wie der Schwarzmundgrundel oder dem Katzenwels, die als Laichräuber eine echte Gefahr für die Fischwelt in Deutschland darstellen können, betrifft das auch etablierte Arten, wie den Zander, die Regenbogenforelle und sogar den „deutschen Nationalfisch“, den Karpfen.

In dieser Diskussion ist jedoch sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt. Der Artenschutz ist ein hohes Gut. Stellen bestimmte Arten wirklich eine Gefahr für die heimischen Arten dar und was ist, wenn sie selbst sogar eine heimische Art sein könnten? Beim Karpfen wird das besonders deutlich.

Karpfen in Deutschland: Wann ist eine Fischart heimisch?

Obwohl der Karpfen nicht auf der Liste invasiver Arten der Europäischen Union steht, werden in Deutschland immer wieder Diskussionen um seine Daseinsberechtigung in unseren Gewässern geführt. Insbesondere in Naturschutzgebieten ist ein Besatz bereits jetzt häufig verboten. Wirklich fundiert sind diese Verbote jedoch nicht.

Sebastian Schmidt mit Karpfen

Bild: S. Schmidt

Autor Sebastian Schmidt kennt sich nicht nur mit der Geschichte und der Herkunft von Karpfen aus, sondern weiß auch, wie man sie fängt.

Obwohl das Kriterium der „heimischen Art“ aufgrund von Artikel 1 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 (über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten) vom 8. September 2017 ersatzlos aus dem Bundesnaturschutzgesetz gestrichen wurde, ist es nach wie vor häufig Dreh- und Angelpunkt der Diskussion.

Danach gibt es drei Kriterien, die eine Tierart zu einer heimischen Art machen können:

  1. Heimisch ist eine Art zum einen dann, wenn sie im Inland natürlich vorkommt.
  2. Gleiches gilt, wenn das in früherer Zeit einmal der Fall war.
  3. Heimisch kann eine Art aber auch dann sein, wenn sie zwar durch menschlichen Einfluss eingebürgert wurde, sich aber ohne den Menschen über mehrere Generationen erhalten kann.

Hinsichtlich des Karpfens wird oft davon ausgegangen, dass er in Deutschland ursprünglich nicht vorkam und er sich hierzulande nicht eigenständig erhalten könne – wäre demnach also nicht heimisch. Diese Einschätzung – das nehme ich vorweg – ist jedoch unzutreffend.

Eiszeit-Karpfen: Die Mönche waren nicht die ersten!

Dass der Karpfen in Deutschland heutzutage weit verbreitet ist, kann als unstrittig gelten. Es gibt wohl kaum einen Fisch, der in so vielen Gewässern vorkommt, wie den Karpfen. Die Fragen lauten eher, wie kam er dahin und wie lange gibt es ihn dort schon?

Angler mit Karpfen im Drill

Bild: Sportvisserij Nederland

Ob in großen Seen, schmalen Flüssen oder auch noch so kleinen Teich – Karpfen können in nahezu jedem Gewässertypen vorkommen.

Unstrittig ist auch, dass mit den Teichwirtschaften der Klöster und der Domestikation durch den Menschen die Verbreitung des Karpfens in Mitteleuropa forciert und die Beliebtheit als Nahrungsmittel gesteigert wurde. Insofern war es der menschliche Einfluss, der in den letzten Jahrhunderten maßgeblich zur Verbreitung des Karpfens beigetragen hat.

Seit wann gibt es den Karpfen in Deutschland?

Der Umstand, dass diese Tatsachen unstrittig sind, hat jedoch dazu geführt, sie fälschlicherweise häufig als allein gültig angenommen und der Karpfen als eingeführte Art beurteilt wurde. Tatsächlich wurde aber unter Wissenschaftlern immer sehr kontrovers diskutiert, ob der Karpfen nicht unabhängig vom Menschen und auch schon viel früher in Deutschland vorkam. Dabei vertrat eine Gruppe die Position, dass der Karpfen tatsächlich erst mit den Römern und später den Mönchen nach Mitteleuropa kam.

Zahlreiche andere Wissenschaftler vertraten hingegen die Auffassung, dass der Karpfen hierzulande bereits lange vor der letzten Eiszeit heimisch war. Er sei dann durch diese aus Mitteleuropa verdrängt worden und habe hinterher nur eingeschränkt wieder zurückgefunden. Dass der Karpfen nur noch in geringem Umfang zurückkehren konnte, lag an den veränderten Einzugsgebieten der Flusssysteme. Diese Gruppe von Wissenschaftlern stützte sich auf diverse Fossilienfunde, etwa in den Süßwasser-Kalklagern bei Belzig und Rheinsberg in Brandenburg oder Uelzen und Honerdingen in Niedersachsen.

Schlundzähne und Radio-Carbon-Methode bringen Klarheit

Die Gruppe der Kritiker hingegen zog diese Erkenntnisse stark in Zweifel. Nach ihrer Ansicht sei nicht eindeutig, ob die Funde – insbesondere Schuppen – von Karpfen und oder anderen Cypriniden stammten. Zudem wurden auch die Datierungen teilweise angezweifelt. Später gab es dann allerdings auch Funde von Schlundzähnen. Ein Fund direkt an der Naab kurz vor deren Mündung in die Donau wurde auf die Bronzezeit bis frühe Eisenzeit datiert. Ein weiteres Fundstück aus dem Landkreis Biberbach in Bayern wurde mittels Radio-Carbon-Methode zeitlich ähnlich eingeordnet.

Mag man die Bedenken bei der Zuordnung von Schuppen vielleicht noch nachvollziehen können, ist dies bei Schlundzähnen natürlich nicht möglich. Diese können ohne jeden Zweifel dem Karpfen zugeordnet werden und eine Altersbestimmung über die Radio-Carbon- Methode ist ebenfalls nicht anzuzweifeln. Insofern kann der archäologische Nachweis des Karpfens in historischer Zeit im Nordosten Deutschlands mittlerweile zumindest als möglich, in Süddeutschland sogar als gesichert gelten.

Für die Feststellung eines gegenwärtigen und auch historischen Verbreitungsgebietes im Inland entsprechend den früheren Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes ist das allemal ausreichend. Der Karpfen ist also schon deshalb in Deutschland als heimisch anzusehen.

Elektronische Bissanzeiger mit Karpfenruten

Bild: H. Jagusch

Der Bissanzeiger kreischt! In diesem Moment schlägt das Herz eines jeden Karpfenanglers höher.

Karpfen vermehren sich in Deutschland von selbst

Obwohl es damit auf die Frage der Einbürgerung durch den Menschen nicht mehr ankommt, möchte ich trotzdem auf die Frage nach einem natürlichen Erhalt über mehrere Generationen eingehen. Für die Einordnung des Karpfens ist das zwar nicht mehr relevant, zeigt aber deutlich auf, wo die eigentlichen Probleme liegen.

Noch immer herrscht die Meinung vor, der Karpfen sei zur Bestandserhaltung hierzulande auf Besatzmaßnahmen durch den Menschen angewiesen. Er vermehre sich in unseren Gewässern lediglich selten, da die nötigen Wassertemperaturen nur gelegentlich erreicht würden. Das ist so nicht richtig. Der Karpfen benötigt zum Laichen eine Wassertemperatur von 18 bis 20 Grad. Selbst in sehr kühlen Sommern wird diese Temperatur hierzulande erreicht. Die Temperaturen sind also kein Problem.

Tiereisches Plankton für Karpfen in Deutschland essentiell

Allerdings ist der Karpfen in seiner natürlichen Wildform ein Flussfisch. Er benötigt die überschwemmten Auen und Wiesen als Laichgebiete. Der Grund sind die Nahrungsbedürfnisse junger Karpfen, nachdem sie ihren Dottersack aufgebraucht haben. Karpfen leben in ihren ersten Lebenswochen ausschließlich von tierischem Plankton bestimmter Art – Pantoffeltierchen, Rädertierchen und all die anderen kleinen Tiere, die nur in Heu-Sud prächtig gedeihen und die wir als Kinder im Biologieunterricht unter dem Mikroskop bewundern durften.

Fehlen diese Nahrungstiere, verhungern die kleinen Karpfen binnen weniger Tage. Die Elbe ist diesbezüglich eigentlich ein Paradies für Karpfen. Mit ihren ausgedehnten Auen, die vielfach sogar Schutzgebiete sind, bietet sie dem Karpfen perfekte Laichgebiete. Persönlich gehe ich deshalb davon aus, dass sogar der Großteil der Elbpopulation von Karpfen natürlichen Ursprungs ist.

Bemerkenswert war immer, dass der Bestand zu 90 Prozent aus Schuppenkarpfen bestand und auch heute noch besteht. Gelangten aber in früherer Zeit Besatzkarpfen in die Elbe, waren das fast immer Spiegelkarpfen. Auch das unterstützt die Annahme eines natürlichen Bestandes.

junger Karpfen auf einer Hand

Bild: H. Jagusch

Karpfen können sich unter optimalen Bedingungen auch in unseren heimischen Gewässern auf natürlichem Wege fortpflanzen.

Vielerorts regelmäßige Vermehrung

Ähnlich sieht das in verschiedenen kleineren Stauseen in Ost- und Mitteldeutschland aus, die ich befischt habe. Einige von ihnen werden in den Wintermonaten größtenteils abgelassen. Kehrt das Wasser im Frühjahr zurück, finden die Fische in den vormals trockenen und mit Gras bewachsenen Bereichen ideale Laichbedingungen. Eine jährliche, natürliche Reproduktion ist die Folge. Aber auch in stehenden Gewässern ohne Zufluss vermehren sich Karpfen mitunter regelmäßig.

Ich erinnere mich an einige Teiche in meiner uckermärkischen Heimat, die jährlich kleine Karpfen produzierten. Eingebettet in eine hügelige Wiesenlandschaft traten sie in jedem Jahr nach der Schneeschmelze weit über ihre Ufer und vervielfachten ihre Größe. In den überschwemmten Wiesen fanden die Fische perfekte Fortpflanzungsbedingungen. Als das Wasser wieder zurückwich, wimmelte es in den Teichen nur so von kleinen Karpfen. Dies geschah jedes Jahr aufs Neue. Die Möglichkeit einer regelmäßigen Vermehrung in Deutschland ist abhängig von den konkreten Bedingungen also durchaus gut.

Florian Pippardt mit Spiegelkarpfen

Bild: F. Pippardt

Spiegler, Spiegler in der Hand, wer fängt die Schönsten in unserem Land? Auch Blinker-Redakteur Florian Pippardt haben es die populären Fische angetan.

Gift und Verbauung: Die Schuld des Menschen

Tatsächlich hat der Eindruck, der Karpfen sei keine sich selbst erhaltende Art, auch mit dem menschlichen Einfluss zu tun. So nahm insbesondere im 20. Jahrhundert die Verschmutzung der Elbe, ihrer Nebenflüsse aber auch fast aller anderen Flüsse in Deutschland erheblich zu. Ende der 1980er Jahre war etwa die Elbe zu einer Kloake verkommen. Allein das Chemiekombinat Bitterfeld leitete über die Mulde jährlich Zehntausende Tonnen giftiger Chemieabfälle in den Fluss.

Am Ende übertraf die Belastung der Elbe mit dem Schwermetall Cadmium die Trinkwasserrichtlinien der damaligen Europäischen Gemeinschaft um bis zum 90-fachen. Beim Quecksilber lagen die Werte sogar beim 250-fachen. In Mulde und Saale war die Situation noch viel schlimmer. Diese schlechte Wasserqualität machte nicht nur die Vermehrung, sondern teilweise auch das Überleben des Karpfens unmöglich.

Hindernisse der natürlichen Reproduktion

Die Verbauung der Gewässer ist und war ebenfalls ein hemmender Faktor. Das betrifft natürlich einerseits die Zerstörung vieler Auen als Laichgebiete in der Vergangenheit. Ohne geeignete Laichgebiete gibt es natürlich auch kein erfolgreiches Ablaichen. Andererseits sind aber auch verbaute Aufstiegsmöglichkeiten ein Problem. So ist beispielsweise durch die Kultivierung der Elbe in Mecklenburg-Vorpommern und ihrem Ausbau zur Wasserstraße in den vergangenen Jahrhunderten ein ungehinderter Aufstieg von natürlich reproduzierten Elbkarpfen bis in die Mecklenburgische Seenplatte nur schwer möglich.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Karpfen kein Wanderfisch mit ausgeprägtem Wandertrieb ist. Er zieht schlicht umher und verbreitet sich dadurch eher zufällig. Trifft er dabei auf ein Hindernis, wird er nicht versuchen, es irgendwie und mit aller Macht zu überwinden. Er dreht einfach wieder um und schwimmt zurück. Fischtreppen und Ähnliches sind deshalb beim Karpfen keine große Hilfe.

Karpfen werden besetzt

Bild: H. Jagusch

Der Mensch hilft nach: Um die Bestände des beliebten Angelfisches aufrechtzuerhalten, besetzen viele Vereine ihre Gewässer mit Karpfen aus der Aufzucht.

Der Klimawandel als Gefahr für Karpfen in Deutschland

Das mittlerweile größte Problem ist der Klimawandel und die durchschnittliche Erwärmung auch hierzulande. Überschwemmte Uferbereiche im Frühjahr, die der Karpfen zum erfolgreichen Ablaichen braucht, sind das Resultat einer großen Schneeschmelze. Dort, wo jedoch kein Schnee mehr fällt, kann dieser auch nicht schmelzen. Die bereits erwähnten kleinen Teiche in meiner uckermärkischen Heimat sind ein gutes Beispiel: Es gibt sie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Sie sind ausgetrocknet.

Aber selbst in der Elbe macht sich der Klimawandel bemerkbar. Dieser Fluss hatte immer die Besonderheit, dass es zwei Frühjahrshochwasser gab. Das eine sehr zeitig, wenn die Schneeschmelze entlang seines Verlaufs in Deutschland einsetzte, das andere im späteren Frühjahr, wenn es zur Schneeschmelze im tschechischen Riesengebirge kam. Gerade das zweite Hochwasser war für die Fortpflanzung der Karpfen wichtig, dass es zeitlich dann einsetzte, wenn das Wasser im Fluss bereits Laichtemperatur erreicht hatte. Aber eben dieses zweite Hochwasser bleibt aufgrund des Klimawandels immer öfter aus. Das wird auch für die natürliche Karpfenpopulation der Elbe zunehmend ein Problem.

Geteiltes Leid mit Stör und Lachs

Der Karpfen war in Deutschland heimisch. Im Zuge der letzten Eiszeit wurde er in das Gebiet südlich der Alpen verdrängt und hatte es aufgrund verschiedener Umstände schwer, auf natürlichem Wege zurückzukehren. Auch wenn der Mensch in den letzten Jahrhunderten zur künstlichen Verbreitung des Karpfens beigetragen hat, hat er durch seinen Einfluss auf die Natur seine natürliche Verbreitung behindert.

Karpfenangeln in der Dämmerung

Bild: H. Jagusch

Die Idylle und gleichzeitig die Spannung vor dem nächsten Biss, das ist es, was Karpfenangeln ausmacht. Doch „der Karpfen könnte verschwinden, wenn wir aufhören, ihn in unsere Gewässer einzusetzen“.

Der Karpfen teilt insofern das Schicksal von Lachs oder Stör. Nur war das beim Karpfen weniger offensichtlich, da er durch seine Domestikation allgegenwärtig war. Wird diese jedoch verschwinden, wird auch der Karpfen aus Deutschland verschwinden. Gibt es keinen Besatz mehr, gibt es auch bald keine Karpfen mehr. Anstatt über Besatzverbote nachzudenken, sollte deshalb ernsthaft über Maßnahmen zum Erhalt der Bestände dieser heimischen Fischart geredet werden.


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