Du darfst beim Ausnehmen niemals die Galle treffen, wenn du den Fisch essen willst, sagte mein Vater einmal, als wir Erfolg beim Angeln hatten. Anschließend schuppten wir den Hecht und schnitten ihn in Stücke, die wir am Abend auf der Haut brieten. Ich schaute in die Pfanne und konnte nicht glauben, dass es derselbe Fisch war, mit dem ich wenige Stunden zuvor gekämpft hatte. Die Erinnerungen an den Fang hoben dieses Essen auf eine andere Ebene. Mir kam es so vor, als hätten wir uns mit dem Hecht als Speisefisch in eine größere Kette des Lebens eingeklinkt.
„Hechte“: Ein PortraitAls Räuber gefürchtet, als Speisefisch verschmäht, als Trophäe zu Tode fotografiert: Andreas Möller taucht ein in die schillernde Welt des kompromisslosen Jägers und sensiblen Gejagten unserer Flüsse und Seen – und in die unmittelbare Naturerfahrung, die das Angeln auch heute noch verheißt. Andreas Möller, 1974 in Rostock geboren, befasst sich seit seiner Doktorarbeit zur Naturliebe und Technikkritik während der Weimarer Republik mit dem modernen Naturbild. Er war Journalist bei Deutschlandfunk Kultur und ist heute Kommunikationschef des Maschinenbauers Trumpf. „Hechte“ ist sein viertes Buch zum Verhältnis von Mensch und Natur. |
Der Speisefisch Hecht speiste selbst Fisch
Zuvor hatten wir den Inhalt des Magens untersucht (Friedfische hingegen besitzen nur einen langen Darm), der aus zwei kleinen, kaum verdauten Fischen bestand, ich meine Plötzen. Wir hatten mit anderen Worten einen Hecht gefangen, der zuvor selbst Beute gemacht hatte und nun vor uns auf den Tellern lag. Eingedenk der Hechtfleischexporte nach Osteuropa und seiner primären Nutzung als Angelfisch soll es hier darum gehen, welche Rolle der Esox in der gegenwärtigen Gastronomie überhaupt noch spielt – und woran es liegen könnte, dass der Geschmack von Hechtfleisch immer weniger bekannt ist.
Dies liegt, so möchte ich im Folgenden zeigen, vor allem am heutigen Zuschnitt der Wertschöpfungsketten vom Wasser bis in den Supermarkt. Und zwar entscheidender als am modernen Gaumen oder am Umstand, dass der Hecht starke Gräten aufweist, wobei man eine kleine Kulturgeschichte zur Frage schreiben könnte, was wir mittlerweile als störend empfinden beim Fisch- und Fleischkauf, was wir uns an Gerüchen und optischen Makeln noch zumuten und wann wir vielleicht lieber auf Eingeschweißtes aus Tiefkühltruhen zurückgreifen, auf weil uns eine anspruchsvolle Zubereitung von Lebensmitteln aus zeitlichen Gründen im Alltag schreckt. Wir nennen es Convenience.
Fast alle Hechtfänge sind Wildfänge
Der Hecht ist ein hervorragender Speisefisch. Man kann ihn in Butter braten oder auf den Punkt garen, vielleicht einen Tick über die Glasigkeit hinaus, mit etwas Lauch, Karotten- und Erbsengemüse, Salzkartoffeln, einem Schuss Weißwein im Sud oder auch einer Speckschwarte im Bräter – ein einfaches und dennoch kostbares Gericht. Denn in Zeiten der professionalisierten Lachs– und Pangasius-Zucht ist der Hecht insofern eine Ausnahme, als so gut wie alle Hechtfänge auch tatsächlich Wildfänge sind.
Ein Hecht-Menü ist wie eine Rehkeule oder ein Stück Wildschwein: noch immer Resultat eines Einzelfangs in einem natürlichen Habitat. Dabei nimmt der Hecht gleich zu Beginn eine wichtige Hürde, indem er nicht „fischig“ oder „modrig“ schmeckt, wie dies bei großen Karpfen oft der Fall ist. Man muss ihn nicht in kaltem Leitungswasser auslaufen lassen. Stammt er aus einem Hecht-Schlei-See, kann er schon mal etwas strenger schmecken, aber das ist selten. Als Fisch, der im freien Wasser jagt und nicht im schlammigen Boden gründelt, hält er sein Fleisch rein.
Der Speisefisch Hecht als lokaler Champion fehlt
Die postmoderne Ernährungskultur ist im Falle des Hechtes paradox: Nie wurde das Regionale von der politischen Rhetorik bis zur Werbung des Einzelhandels höher geschätzt als heute. Dennoch stehen vor allem importierte Meeresfrüchte hoch in der Gunst der Verbraucher, die pro Jahr und Kopf rund 14 Kilogramm Fisch verzehren. Deutschland hat aufgrund der Dominanz der Salzwasserfänge bei Fisch deshalb nur einen Selbstversorgungsgrad von 25 Prozent. Und es kompensiert diesen nicht durch Fisch aus Binnengewässern. Es müssen Meeresfisch, Krabben oder Muscheln sein.
Esox auf der Speisekarte? Fehlanzeige!
Hecht findet man auf keinem regionalen Wochenmarkt in der Großstadt. Selbst in der neuen Küche der Berliner Szene-Restaurants, in der es schon mal Havelzander gibt, kommt er nicht vor. Das Nobelhart & Schmutzig wirbt beispielsweise mit dem Motto „brutal lokal“, um Produzenten „im Berliner Umland in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken“. Darüber hinaus sei die „Teilhabe am Reichtum der Natur um Berlin eng verknüpft mit den Themenbereichen Umwelt, Wirtschaft, Herkunft und Identität. Essen ist immer auch ein politischer Akt.“ Der Hecht als lokaler Champion zählt nicht dazu, wenn man sich die Karte genauer ansieht. Auch bei Nordsee und anderen Restaurantketten sieht man ihn nicht.
Und so ist es überall in der Hauptstadtgastronomie vor den Toren der Spree- und Havelregion sowie der Mecklenburger Seenplatte. Ob es im Fischrestaurant Fischers Fritz am Berliner Gendarmenmarkt früher Hecht gab, entzieht sich meiner Kenntnis. Heute heißt das Restaurant Charlotte und Fritz. Es wirkt kosmopolitischer, um im Wettbewerb einer international attraktiven Metropole mitzuhalten. Was „zeitgenössisch“ meint, sieht man allerdings nirgends besser als am Fisch: Doraden (Goldbrassen), Loup de mer, Barben aus dem Mittelmeer, nicht Fisch aus deutschen Gewässern – je exotischer und ferner, desto besser, so wollen es offenbar die Gäste. Auf der Karte des besagten Restaurants stehen King Crabs, Bisque vom amerikanischen Hummer und Kaviar vom Russischen Stör, beheimatet in der Region des Schwarzen und Kaspischen Meers. Und natürlich Wildlachs aus norwegischen Fjorden.
Der Speisefisch Hecht ist weitestgehend vergessen
Thesenhaft ließe sich formulieren: Die Fischgastronomie der Großstädte ist auf Teufel komm raus international geprägt, wenn sie etwas auf sich hält. Beim Fisch ist sie gerade nicht-regional, wie es der Restaurantbetrieb oder Handel für Gemüse, Wild oder Milchprodukte betont. Der Hecht, der vor den Toren Berlins in überschaubaren Stückzahlen gefangen werden könnte, ist, man muss es so kategorisch sagen, kein Thema mehr für die deutsche Spitzenküche. Nicht für den wenig preissensiblen Restaurantgast und auch nicht für die Besucher der Food-Courts oder all jene, die Fotos von ihrem Essen in sozialen Netzwerken posten. Bis auf wenige Landgasthöfe, die sporadisch von Fischern beliefert werden, haben die Speisekarten den Hecht weitgehend vergessen.
Und es liegt der Verdacht nahe, dass dies primär aus einem marktwirtschaftlichen Grund geschieht: der zunehmend vertikalen Integration vieler Prozessschritte in der Lebensmittelproduktion, wie sie auch in der Landwirtschaft im Geflügelbereich oder von der Ferkelproduktion bis zum verbrauchsfertigen Schwein aus Gründen der Marktdominanz und Kalkulierbarkeit von Produkten tonangebend geworden ist. Sprich: der Zusammenführung möglichst vieler Elemente einer Produktionskette unter einem Unternehmensdach oder zumindest mit festen Lieferantenstrukturen, bei denen Kosten gespart werden und möglichst wenig dem Zufall oder witterungsbedingten Launen der Natur überlassen wird. Auch dazu noch einige wenige Sätze.
Serviert wird, was sich liefern lässt
Vor allem die Lieferzuverlässigkeit setzt sich heute immer mehr als ein entscheidendes Kriterium dafür durch, was im Handel landet und was nicht. Der Verbraucher möchte – von allen geschmacklichen, gesundheitlichen und ökologischen Argumenten abgesehen – in puncto Verfügbarkeit und Schnelligkeit der Lieferung keine Kompromisse mehr eingehen. Er möchte die vertrauten Produkte jahreszeitunabhängig erhalten und hat beim digitalen Bestellen den Amazon- oder Gorillas-Reflex so stark verinnerlicht, dass jede Kaufentscheidung in möglichst kurzer Zeit zu einer Lieferung führen sollte – das Gegenteil des Sonntagsbratens unserer Eltern und Großeltern, auf den man sich lange freuen musste, bis man ihn genießen konnte.
Wir warten nicht mehr gern. Selbst Bio-Metzger berichten, dass nur wenige Kunden sich am Freitag oder Samstag mit der Aussage zufriedengeben, dass die Ware bereits aus sei und nur am Montag geschlachtet werde, weshalb man ein bestimmtes Stück Fleisch erst am Dienstag wieder kaufen könne. Und so ist es auch mit dem Gemüse, weshalb alle Biomarkt-Ketten großzügig zukaufen, um ein bestimmtes Sortiment stabil zu halten und den Kunden bloß keine leeren Regale zu präsentieren. Wie sähe ein Bio-Discounter aus, der wirklich Ernst machte und nur das anböte, was saisonal oder tageszeitlich verfügbar ist?
Der Speisefisch Hecht ist Hausmannskost im besten Sinne
Dies prägt die Planung der Produzenten, die quasi lückenlose Produktionslinien von der Erzeugung bis zum Vertrieb unter einem Dach aufbauen, um die Lieferantenabhängigkeit zu reduzieren und mehr Kosten- und Zeitsouveränität zu erlangen. Und dies prägt am Ende auch den Geschmack einer Generation, die das zu konsumieren lernt, was 24/7 verfügbar ist. Auch wenn sie vielleicht sogar gern regionalen Hecht oder Barsch aus der Müritz äße, bekommt sie Alaska-Seelachs (der kein Lachs ist, sondern eine Dorschart, der Köhler) oder Dorade, die mit Schleppnetzen im Mittelmeer gefangen wird, nun mal zuverlässiger im Berliner Frischemarkt.
Vorbei die Zeiten, in denen Fontanes Erzähler in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg ausrufen mochte: „Und nun das Mahl selber! Das wäre kein echtes Spreewaldsmahl, wenn nicht Hecht auf dem Tisch stünde. Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Schleie. Der Fisch will trinken, gebt ihm was, daß er vor Durst nicht schreie.“
Der Hecht ist damals wie heute im besten Sinne Hausmannskost, keine zeitgemäße Massenware wie der Lachs, seit dem Entstehen großer Farmen in den 1990er Jahren Highlight jedes Frühstücksbuffets in Hotels oder beim Sonntagsbrunch, oder die ebenfalls vollständig aus der Zucht stammende Regenbogenforelle, die einmal aus Amerika eingeführt wurde und mittlerweile so etwas wie der deutsche Pangasius ist, zu finden in jedem Kühlregal – gleich neben dem Lachs. Man setzt die Regenbogenforelle zudem als Angelfisch Jahr für Jahr zu Abertausenden in Flüssen und Bächen ein, aber auch in kommerziellen Angelteichen mit Stundengebühren, sogenannten „Forellenpuffs“. Nahezu alle Forellen in unseren Breiten sind heutzutage Besatzfische. Auch das ist moderne Naturgeschichte.
Esox lässt sich eben nicht züchten
So gut wie kein Hecht, den Sie jemals gegessen haben oder nach der Lektüre dieses Buchs vielleicht einmal probieren möchten, stammt hingegen aus einer vergleichbaren Zucht. Es gibt zwar ein paar Hecht-Teiche in Bayern, aber wie schon mehrfach erwähnt handelt es sich beim Hecht zumeist um einen Wildfang, da sich Hechte wegen ihres aggressiven Sozialverhaltens nur schwer in Gruppen halten lassen.
In Amerika hat dies mittlerweile zu wissenschaftlichen Kreuzungen hin zu einer Art geführt, die friedlicher ist und sich besser in größeren Stückzahlen halten lässt. Sie trägt ironischerweise den Namen Tigerhecht. Dabei entzieht sich der Hecht durch seine Vorliebe für Wehre, Pflanzen und umgestürzte Bäume der Fischerei im großen Stil. Wo Hechte leben, lassen sich keine Netze über den Grund des Meeres ziehen, deren Inhalt in sogenannte Entlader ausgekippt und an Ort und Stelle ausgenommen, filetiert und eingefroren wird. Die allgegenwärtige „Economy of Scales“ vom Hühnerstall bis zum Maisfeld und Fischtrawler: Sie versagt beim Hecht kolossal.
Bei der Wirtschaft von heute macht der Hecht nicht mit
Der Hecht ist in seiner Fangprognose stark schwankend – und wird darum in einer zunehmend von Effizienz und Verfügbarkeit geprägten Ernährungswelt zum Outsider. Er ist eine unrentable, weil nicht zu kalkulierende Jagdbeute der Fischer und Angler, denn der größte Kostenfaktor moderner Wirtschaftskreisläufe ist die exakte Kalkulation von Material, Arbeitskräften, Produktion und Distribution – etwas, das bereits Thomas Mann in den Buddenbrooks als „Termingeschäft“ bezeichnete, das Bezahlen einer Mecklenburger Weizenernte „auf dem Halm“, die dann durch einen Hagel vernichtet wird.
In diesem Sinne bekommt das Nachdenken über die „Sperrigkeit“ des Hechtes als Wildfisch durchaus eine andere Dimension. Schon in den 1980er Jahren musste glücklicherweise niemand mehr stundenlang im Schilf verharren, um am Ende das Abendessen mit nach Hause zu bringen. Ein lebend gekaufter Karpfen in der Badewanne war auch damals nicht deshalb ein Grund zur Freude, weil er Stunden später ein elementares Bedürfnis stillen würde, sondern weil er eine Notwendigkeit simulierte.
Nicht anders verhält es sich heute mit Hühnern im eigenen Garten, die man gegen zutrauliche Stadtfüchse oder Waschbären verteidigt. Oder mit ungespritzten Tomaten vor dem Balkonfenster. Es sind Kulturpraktiken aus Freude am Konkreten ebenso wie aus Überdruss an der Allverfügbarkeit des Notwendigen. Sie spiegeln die Sehnsucht nach Rückbindung an etwas wider, was wir als elementar empfinden und verloren glauben. Dazu gehören auch jahreszeitliche Bezüge, die wir angesichts der ganzjährigen Verfügbarkeit von importiertem Fisch, Obst oder Gemüse im Kühlregal nicht mehr zu beachten bräuchten.
Der Hecht ist der Speisefisch der Stunde
Und doch geht ein gewisser Zauber von jenen einfachen Regeln aus, die den Verzehr von Nahrung an ihre Verfügbarkeit binden. „Wenn der Raps zu blühen beginnt, der Hornhecht an die Küste schwimmt“, lautet ein Reim, der die wenigen Wochen benennt, in denen große Heringsschwärme und mit ihnen die Hornhechte an die Küsten der Nord- und Ostsee kommen. Fisch und Meeresfrüchte, lehrt der Volksmund, sollte man besser in den kalten Monaten mit „R“ im Namen essen, also in der Zeit von September bis April. Während der Sommermonate hat das Fleisch aufgrund der Algenblüte nämlich oft einen anderen, bisweilen modrigen Geschmack als im kalten Frischwasser in Herbst und Winter.
Gerade der Karpfen war immer ein klassischer Winterfisch, auch weil er sich wie erwähnt Fettreserven anfrisst. Die Entgrenzung von Raum und Zeit ist in der Allverfügbarkeit und jahreszeitlichen Autonomie des modernen Frischemarktes zur Normalität geworden. Auch deshalb ist der Hecht in den Hintergrund des kulinarischen Interesses gerückt, obwohl Küche und Garten seit Jahren im Trend liegen: Der Esox verweigert sich dem Verdikt der Planbarkeit und der möglichst effizienten Nutzung der Zeitkontingente so konsequent wie kaum eine andere Art. Ökologisch betrachtet, aber auch hinsichtlich der Achtsamkeit für das Glück des unverhofften Moments, ist er damit der Fisch der Stunde.
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