Die Rache der Rotfeder

Die ­räu­berische russische Rot­feder mutet sich auch Popper zu. BLINKER

Hechte haben schon mancher Rotfeder das Leben schwer gemacht. Aber die Rotfedern fletschen die Lippen zum ­Gegen­angriff. Seite an Seite mit den Hechten rauben sie im Wolgadelta und lassen die Grenze zwischen Raubfisch und Friedfisch verschwimmen.

Mit der kleinen Insel im Wolga­delta, auf der die Lodge steht, hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Aber das ist eine Geschichte, die man erst nach ein paar Wodka erzählen darf, und dafür ist es noch zu früh. Also noch etwas Geduld. Bemerkenswert ist aber auch, was sich in dem achen Wasser vor der Insel abspielt. Keine Sekunde vergeht, ohne dass man ­Fische sieht. Kleinsche spritzen aus dem Wasser, ein Barsch springt hinterher. Weiß­sch­schwärme auf Nahrungssuche, Hechte, die sich anschleichen und plötzlich in den Schwarm stoßen. Eine Schlamm­wolke gibt langsam den Blick auf einen Hecht frei, in seinem Maul eine Rotfeder. Nahe am Ufer sammeln sich Jungsche. Schon werden sie attackiert, dieses Mal von einer großen Rotfeder. Voll emanzipiert steht der räuberische Friedsch neben einem Junghecht und verdaut seinesgleichen. Es wimmelt um die Insel herum nur so von Fischen. Als wir einmal für einen Ansitz auf Wels ein paar Ködersche fangen wollten, war das innerhalb weniger Minuten ­er­ledigt. Ohne Anfüttern, ohne besonders ­feines Gerät, ohne sonderlich attraktiven Köder. Eine Scheibe Mettwurst aus der Küche der Lodge hatte genug kleine Fettstückchen, um damit 20 Weißsche zu ­fangen. Die Scheibe hätte sogar für dreimal so viele Fische gereicht. Außer auf Wels und auf Ködersche wird aber kaum mit Naturködern geangelt. Beim Raubschangeln werden bevorzugt Kunstköder eingesetzt. Das ist spannender und effektiver, weil die Bisse oft Schlag auf Schlag kommen. Sergei Borovikov, der Besitzer der Lodge, stattet mich für den ersten Angeltag mit einer Handvoll Ködern aus, alles Oberächenköder. Sergej erkennt mei­­ne Verwunderung und gibt mir zu verstehen, dass ich dieser Köderwahl ver­trauen soll. Doch erst einmal muss ich Vertrauen zu ­einem unendlichen Wasserlabyrinth aus Seen, Teichen, Kanälen, Gräben und Sümpfen zwischen Schilfinseln und Auen­wäldern fassen. Alle Gewässer stehen miteinander in Verbindung und bilden über viele viele Kilometer den Irrgarten des Wolgadeltas, in den man sich niemals ohne Guide wagen sollte. Meine Kollegen der russischen Angel­presse kennen sich hier gut aus. Zum Fotograeren und Filmen fahren sie häuger ins Wolgadelta, weil sie dort immer genug schuppige Akteure vor das Objektiv bekommen. Mit vier Booten rasen wir durch den Wasserdschungel, als wären wir auf ­einer gut beschilderten Autobahn. Dann tut sich vor uns eine weite Wasseräche auf, mein Guide drosselt den Motor und ankert an einer Krautinsel. Ohne Worte deutet ­Sergei so heißt auch der Guide an, dass das Wasser höchstens einen Meter tief ist, wir rund ums Boot werfen können und am besten mit Spinnern anfangen. Gesagt, dass heißt nicht gesagt, aber doch getan.


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