Ein Fluss zum Fürchten

Nach den letzten mühsamen Schritten lichtet sich der pannonische Urwald und ich erblicke ein überwältigendes Bild. In einer scharfen Kurve treffen die Wassermassen eine 20 Meter hohe Lößmauer und scheinen für einen Moment wie verhext, stehen zu bleiben. Dann dröhnt die Drau im neu erschaffenes Flussbett schäumend weiter. Ans Fischen ist hier nicht zu denken. Eher ans Überleben.

Und doch, unterhalb der Kurve, wo das Wasser einigermaßen befahrbar ist, fischen urkomische Gestalten in 10 bis 20 Meter tiefen Löchern mit atemberaubenden Geräten auf Großwaller. Monofile Schnur der Stärke 100, mit Isolierband befestigte, gigantische Rollen aus der Happy-Zeit-Fabrikation der Deutschen Demokratischen Republik, montiert auf museumsreifen Germina Vollglasruten der obersten Knüppelklasse. Die Köderauswahl ist ebenfalls verblüffend. Blutegelbündel in nie gesehenen Größen und Mengen, Hühnerdarm und sogar Waschseife! Meine BERKLEY ULTRA SPIN mit 180 Gramm Wurfgewicht ist hier fehl am Platze. Ich lege also meine Sachen zur Seite und greife lieber zum Fotoapparat. Immer seltener werden sie. Die ungebändigten Urflüsse Europas. Wenn man den Namen Drau hört, denk man zuerst an die oft beschriebene, sanfte Salmonidenstrecke in Österreich. Doch der gesamte Fluss auf dem Gebiet Ungarns ist wahrscheinlich das brisanteste, gefährlichste und unberechenbarste Gewässer im Mittel- und Osteuropa. Der Fluss bildete eine kaum überwindbare Landesgrenze des bis 1989 regierenden kommunistischen Regimes zu dem benachbarten und später zerrüttelten Jugoslawien. Ich habe meinen Wehrdienst von 2 Jahren am Ufer dieses wunderschönen Flusses ableisten dürfen. Die meiste Zeit, leider ohne zu fischen. Regel Nr. 1. Nie alleine zur Drau hingehen! An einigen Flussabschnitten könnte ein einziges Stolpern am Ufer lebensgefährlich werden. Mein Freund, János Szilveszter, der ziemlich der bekannteste, und erfahrenste Drau-Angler der Gegend ist, hat seinen Gästen sogar verboten, nach zwei Flaschen Bier, dem Ufer zu nähern. Regel Nr. 2. Nie ohne Guide mit dem Boot unterwegs zu sein! Im Grenzgebiet schlängelt der Fluss zwischen zwei nicht unbedingt befreundeten Nachbarnstaaten. Während eines Wallerdrills war ich mit meinem versierten Wallerfischer-Freund, Janó mit unserem Boot innerhalb 2 Stunden mindestens sechsmal in Kroatien und zurück. Angesichts der letzten stürmischen Kriegsjahren in der Region sind die kroatischen Grenzbeamten – weiß Gott warum – etwas nervös. Regel Nr. 3. Feines Gerät sollte diesmal zu Hause bleiben. Der Fluss reißt alles mit, auch ohne Fisch am Haken. Wenn man dann wirklich etwas vernünftiges drillen muss, wird das Material bis zum Äußersten gefordert. Ein Gigant, den Janó und ich nie zu Sicht bekamen, spulte mit fast voll gezogener Bremse 300 Meter 40 kg Stroft mit einer Vehemenz von der Rolle herunter, dass in der 7000er ABU AMBASSADEUR das Öl zum kochen und qualmen anfing. Wir gingen davon aus, dass der Fisch eher ein Silberkarpfen war, von denen gibt es 50-60 kg Exemplare im Fluss. Flussabwärts in der Strömung hatten wir Null Chancen, das Ungeheuer zu stoppen. Die etwas sanftere Seite des Flusses. Allerdings im Sommer bei Niedrigwasser. Am Rande der Kiesbank ist das Wasser trotzdem mindestens 8 bis 12 Meter tief. Tagsüber rauben hier gewaltige Rapfen, nachts sind an der Kante Waller in Mini-U-Boot Größe unterwegs. Zander findet man ebenfalls reichlich. Die verlockende Stelle könnte aber zum Verhängnis werden. Beim steigendem Wasser bleibt es kaum Zeit zum Flüchten. Also bitte keine Zelte aufschlagen! Sämtliche Gegenstände immer Griff- und Fluchtbereit halten! Schöne Drau Zander, auf Fischfetzen gefangen. Zerdrückte, sogar zertrampelte Lauben und Rotfedern gehören in Ungarn zu den absoluten Topködern, die in hoffnungslosen Fällen den Angeltag durchaus retten können. Janó zupfte diese beachtlichen Fische direkt am Bootsanlegestelle etwa im Mittelwasser. Obwohl das Fischen in Ungarn mit lebendem Köderfisch noch erlaubt ist, stellten wir uns bereits auf die artgerechtere und sanftere Methode um. Regel Nr. 4. Immer offen sein für die örtlichen Gegebenheiten! Die kistenweise mitgeschleppten „Wunderwaffen“ nützen nicht immer. Die meisten Welse wurden von uns mit „heimischen“ Ködern (Blutegel, Pferdeegel, Muscheln, Krebse, Maulwurfsgrillen) erbeutet. Janó mit einem 146 Pfund Waller, den wir etwa 50 Meter von der kroatischen Grenze zum Stehen brachten. Die Grenzbeamten drüben haben sich bereits über diverse Koch- und Bratrezepte gestritten. Catch and Release ist in Ungarn (und in Kroatien) weniger verbreitet. Wenn man daran denkt, dass der Wert eines Wallers dieser Größenordnung etwa dem monatlichen Durchschnittslohn eines ungarischen Bürgers entspricht, kann man wohl verstehen, dass die rein sportliche Seite des Fischens nicht zwangsweise im Vordergrund steht. Wenn man es versucht, einen Fisch in der abgebildeten Größe zurückzusetzen (wir haben es öfters praktiziert) sollte früh genug einen schnellen und sicheren Fluchtweg aus der Gegend planen. Der Zorn der Einheimischen ist in solchen Fällen sehr ernst zu nehmen. Das beschriebene Angelrevier ist Bestandteil des Donau-Drau-Nationalparks in Ungarn. Näheres über Angelmöglichkeiten an der Draustrecke in Ungarn erfahren Sie unter [email protected] Fazit: Den Fluss zu beangeln ist ein äußerst anspruchsvolles Vorhaben. Wenn Sie aber der Aufgabe gewachsen sind, etwa 100 Millionen Moskitos pro Quadratzentimeter bei 35°C zu ertragen, Ihre Ausrüstung bis zu einem Kilometer durch den „Urwald“ zu tragen, mehrere Tage am Ufer auszuharren, dann werden Sie an diesem wunderbaren Fluss unvergessliche Abenteuer erleben. Nicht in der Mongolei, Neuseeland, oder Amazonien. Mitten in Europa. In nur weniger Flugstunden aus Deutschland Ihr Karl Wekessser.

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