Bundestag beschließt schwere Eingriffe in Fließgewässer

Trotz einer kritischen Stellungnahme zum Referentenentwurf des Wasserhaushaltsgesetz (WHG) durch den DAFV, beschließt der Bundestag auf Vorlage des SPD geführten Umweltministeriums, dass in Zukunft über die Genehmigung jeder noch so kleinen Wasserkraftanlage binnen eines Jahres entschieden wird.

Deutschlands Flüsse sind in weiten Teilen von hoffnungslos veralteten Anlagen der kleinen Wasserkraft durchzogen. Die heimischen Fischbestände haben das Nachsehen. Foto: DAFV, Olaf Lindner

Bild: DAFV, Olaf Lindner

Deutschlands Flüsse sind in weiten Teilen von hoffnungslos veralteten Anlagen der kleinen Wasserkraft durchzogen. Die heimischen Fischbestände haben das Nachsehen.

Der DAFV befürchtet, dass mit einer Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens in Zukunft eine Reihe neuer Bauvorhaben bzw. Modernisierungen für kleine Wasserkraftanlagen in Deutschland vorangetrieben werden sollen. Wörtlich heißt es in der Begründung: „Sie zielt unter anderem darauf ab, Zulassungsverfahren effizient und für den Antragsteller weniger kompliziert zu gestalten und dadurch Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien zu fördern.“

Offener Brief des DAFV und anderer Umweltverbände

09. Februar 2021

An die Mitglieder des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses im Bundesrat sowie des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag:

Es geht um den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU 2018/2001) für Zulassungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz (BR DS 25/21) im Bereich der Wasserkraft und damit um den Erhalt bzw. die Wiederherstellung lebendiger Flüsse mit gesunden Fischbeständen.

Der Gesetzentwurf ist nach unserer Überzeugung naturschutzfachlich unverantwortlich und europarechtswidrig, weil der Neubau und die Modernisierung kleiner Wasserkraftanlagen gravierende Auswirkungen auf die Erreichung des guten ökologischen Zustands gemäß Wasserrahmenrichtlinie haben und zu einer erheblichen Gefährdung der letzten frei fließenden Flussabschnitte beitragen.

Auf Grundlage der massiven Proteste als auch der unzureichenden Umsetzung des EU-Umweltrechtes wurde die Bundesrats Drucksache 25/1/21 nicht wie geplant vom Bundesrat abgesegnet, sondern bereits an den Bundestag zurückverwiesen.

Aus Sicht des DAFV ist das zumindest ein erster Teilerfolg. Der DAFV wird sich jetzt dafür einsetzen, dass die von uns vorgeschlagenen Änderungsvorschläge in einem erneuten Gesetzentwurf Berücksichtigung finden. Der DAFV verweist darauf, dass Wasserkraft nach der Umwelthaftungsrichtlinie eine gefährliche berufliche Tätigkeit darstellt und nur nach den Kriterien Artikel 4 Abs. 7 der Wasserrahmenrichtlinie genehmigungsfähig ist. Nur dadurch sind die Betreiber von der Umwelthaftung befreit. Aus Sicht des DAFV und dem EuGH ist der Betrieb bestehender Anlagen in Deutschland, die dieser Prüfung nicht unterzogen worden sind, rechtswidrig.

Offener Brief der Umweltverbände

Die überwiegende Mehrzahl der kleinen Wasserkraftwerke in Deutschland ist in einem maroden Zustand. Zeitgemäße Vorrichtungen zum Fischschutz sind nur selten. Foto: DAFV, Olaf Lindner

Bild: DAFV, Olaf Lindner

Die überwiegende Mehrzahl der kleinen Wasserkraftwerke in Deutschland ist in einem maroden Zustand. Zeitgemäße Vorrichtungen zum Fischschutz sind nur selten.

Die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ist miserabel

Es ist laut DAFV offensichtlich, dass die Wasserkraft hauptsächlich für den miserablen Umsetzungsstand der Wasserrahmenrichtlinie verantwortlich ist und die Fische am Ende der Nahrungskette der wichtigste Indikator und Schadstoffkompensator für ein intaktes Gewässer sind.

Warum sich Ministerin Svenja Schulze einerseits so engagiert für den Erhalt der Wasserrahmenrichtlinie in der EU eingesetzt hat und andererseits auf Bundesebene Genehmigungen neuer Anlagen erleichtert werden sollen, erschließt sich hier nicht.

Dazu Olaf Lindner, Pressesprecher des DAFV:

„Die meisten der geschätzten 7400 Anlagen der kleinen Wasserkraft sind aus umweltverträglicher Sicht hoffnungslos veraltet und mit vertretbarem Aufwand kaum zu modernisieren. Für die Zielerreichung der Wasserrahmenrichtlinie als auch der Biodiversitätsstrategie sollte man an vielen Standorten eher über einen Rückbau anstatt über erleichterte Genehmigungsverfahren nachdenken. Modernisierungen werden von den Betreibern in der Regel nur mit einhergehenden Kapazitätssteigerungen in Angriff genommen. Damit würde den Flüssen in Zukunft noch mehr Fließenergie entzogen, welche sie schon heute dringend für die natürlichen Selbsterhaltungsprozesse benötigen.

Wir fragen uns wie Deutschland jemals die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erreichen will. Nach 20 Jahren Umsetzung sind immer noch weniger als 10% der Fließgewässer in Deutschland in einem „guten ökologischen Zustand“ und wir sehen auch keine ernstzunehmenden Anstrengungen der Bundesregierung dies in absehbarer Zeit zu ändern.

Deutschland ist nicht Norwegen, wo tosende Wassermassen in artenarmen Gewässern die Berge herunterstürzen. Wir haben exzellente Ingenieure, aber Deutschland ist kein nachhaltiger Standort für Wasserkraft.“

Steuerabschreibungen für Investoren – Strompreise auf Rekordniveau

Aus Sicht des DAFV steht der aktuelle Beschluss sowohl den Erwägungsgründen des EU-Parlamentes als auch anderer EU-Richtlinien und Entscheidungen des Gerichtshofes und der Verlautbarung des EU-Umweltkommissar entgegen. Es hat den Anschein, dass den Wasserkraftbetreibern hier Geschenke mit Steuerabschreibungsmodellen gemacht werden. Die Zeche zahlen die Verbraucher, und zwar dreifach, sowohl über den Strompreis als auch über Steuergelder in Form von Subventionen im Rahmen des EEG und den erwartbaren EU-Sanktionen.

Deutsche Verbraucher zahlen im internationalen Vergleich die höchsten Strompreise. Zu diesem Ergebnis kommt eine Preisanalyse von 135 Ländern, die das Vergleichsportal Verivox mit den Daten des Energiedienstes Global Petrol Prices durchgeführt hat. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Strompreis hierzulande mehr als verdoppelt. Auch dreißig Jahre Investitionen in die Wasserkraft haben nicht zur Steigerung des Wasserkraftstromes geführt, weil das energetisch nutzbare Wasser stetig abnimmt.

Wenig Beitrag zum Klimaschutz

Lindner dazu:

„Wenn das ganze wenigstens einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten würde, könnte man es ja vielleicht noch verstehen, aber für weniger als 0,5% der Bruttostromerzeugung (Anteil der kleinen Wasserkraft) in Deutschland haben wir unsere Flüsse für viele angestammte Arten unbewohnbar gemacht. Die großen Flusssysteme in Deutschland wie Rhein, Elbe, Weser und Ems gehörten mal zu den produktivsten Lachsflüssen in Europa. Heute gilt der Lachs in den meisten Flussgebieten als ausgestorben. Der Aal ist laut IUCN bereits vom Aussterben bedroht. Die Rote Liste der bedrohten Fischarten in Deutschland spricht Bände.“

Ein wirtschaftlicher Betrieb von Wasserkraftanlagen mit weniger als 1000 KW Nennleistung ist nach Einschätzung des DAFV bei Erfüllung der notwendigen Umweltauflagen (Fischauf-, Fischabstieg und Fischschutz gegenüber der Turbine) kaum möglich und selbst damit kann man nur die schwerwiegendsten Probleme ein wenig mindern.

Auch Prof. Jürgen Geist von der Uni München führt dazu am 13. 09. 2020 in ntv aus:

„Was wir aufgrund unserer bisherigen Arbeit sagen können ist, dass die als modern und fischfreundlich geltenden Wasserkraftanlagen zwar teilweise gute Entwicklungen zeigen. Aber auch bei diesen Technologien haben alle noch Auswirkungen auf die Gewässer und Fische. Nur wenige Menschen wissen das. Wasserkraft gilt als die Lösung aller unserer Energieprobleme. Dem ist aber nicht so“.
Rote Liste der Fische am Beispiel Baden-Württemberg: Nur noch 31% aller Fischarten gelten als nicht gefährdet. Mehr als die Hälfte sind stark gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Grafik: DAFV

Bild: DAFV

Rote Liste der Fische am Beispiel Baden-Württemberg: Nur noch 31% aller Fischarten gelten als nicht gefährdet. Mehr als die Hälfte sind stark gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben.

EU-Parlament stärkt Wassergesetzgebung

Bereits 2019 hatte die EU-Kommission zur Überprüfung der Wasserrahmenrichtlinie aufgerufen. Beim sogenannten Fitness-Check haben ca. 380.000 Bürger den Erhalt der Richtlinie in der jetzigen Form gefordert. Es war die drittgrößte Öffentlichkeitsbeteiligung in der Geschichte der EU und sie hatte Erfolg! Die Kommission und nun auch das EU-Parlament haben das am 17. Dezember 2020 beschlossen. Allerdings waren in der Parlamentsdokumentation, noch große Zugeständnisse an die Wasserkraft enthalten.

Auf Initiative der Angler und Umweltverbände (Gerhard Kemmler, Sachverständiger des DAFV und Sebastian Schönauer, BUND) wurde dazu von einigen Europaabgeordneten (Tiemo Wölken SPD, Martin Häusling BN/Grüne und Katarina Barley/SPD der Vizepräsidentin des EU-Parlaments) ein Änderungsvorschlag auf den Weg gebracht. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Mitglied im Umweltausschuss des EP kommentierte am 17.12.2020: „Das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, spätestens bis 2027 einen guten ökologischen und chemischen Zustand unserer Gewässer und des Grundwassers erreicht zu haben, erscheint von Jahr zu Jahr utopischer. Deshalb ist es richtig, dass das Europäische Parlament die Mitgliedsstaaten dazu aufruft, dringend dafür zu sorgen, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erfüllt werden. Auch die Passagen zur Wasserkraft konnten wir in der Plenarabstimmung verbessern. Die Resolution ruft nun dazu auf, Wasserkraft ganzheitlich zu betrachten, die Vorteile der nachhaltigen Energieerzeugung gegen ihre Umweltauswirkungen abzuwiegen. Der Bau von Wasserkraftwerken in Schutzgebieten ist zu unterlassen.“

Flüsse sind die wichtigste Quelle für Ökosystemdienstleistungen

Weiter stellt das Parlament fest und betont, dass Flüsse und Feuchtgebiete die am stärksten bedrohten Gebiete sind, obwohl sie als die wichtigste Quelle von Ökosystemdienstleistungen gelten; darüber hinaus sind verstärkte Maßnahmen zur Verbesserung der Fischwanderung in der gesamten EU notwendig.

Das Parlament fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, alle erforderlichen Maßnahmen zur Minimierung der Belastungen von Oberflächengewässern zu ergreifen, um die natürlichen Funktionen von Flüssen wiederherzustellen und Ökosysteme zu schützen.

Den Beitrag, den der in Wasserkraftwerken erzeugte Strom zur Verwirklichung der Klima- und Energieziele der EU und zur Einhaltung ihrer im Rahmen des Übereinkommens von Paris gegebenen Zusagen leisten kann, ist wichtig, jedoch kann dies nicht zulasten von Oberflächengewässern und des Schutzes von Lebensräumen gehen.

Und was macht der Bundestag?

Von den Vorgaben des EU-Umweltrechts und für die Zielerreichung der Wasserrahmenrichtlinie ist in der Ausgestaltung der Gesetze (EEG und WHG) auf Bundesebene kaum etwas wiederzufinden.

Auf Druck von Abgeordneten (der DAFV hatte sogar bei EU-Kommissar Sinkevičius um Einschaltung gebeten) wurde zumindest ein entscheidender Passus aus dem EEG gestrichen: „Alles was Erneuerbare Energie erzeugt, liegt im übergeordneten öffentlichen Interesse und der Sicherheit“. Geschätzte 8000 Wasserkraftanlagen in Deutschlands Flüssen entziehen schon jetzt den Fischen ihre Lebensgrundlage.

„Für ein staatlich subventioniertes Artensterben in unseren Flüssen kann es niemals ein übergeordnetes öffentliches Interesse geben, allenfalls ein wirtschaftliches“, so Lindner.

Der Passus wäre einem Persilschein für die Genehmigung zukünftiger Projekte jeglicher Art und Größe gleichgekommen.

Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes und der Richtlinie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, versuchen Lobbyisten ohne verbindliche Rücksichtnahme auf Umweltbelange und deren Gesetzgebung, alle Energieerzeugungsformen für Erneuerbare Energie über einen Kamm zu scheren. Im Erwägungsgrund 45 der Richtlinie ist nur vermerkt: „Die Kohärenz zwischen den Zielen dieser Richtlinie und dem sonstigen Umweltrecht der Union sollte sichergestellt werden“.

Es scheint, dass die Energielobby die Bundesregierung mit dem EEG in Verbindung mit dem Wasserhaushaltsgesetz zu Zugeständnissen bewegt hat.

Fatales Signal in Zeiten eines „Green Deal“

Der Bundestag verkennt aus der Sicht des DAFV die Brisanz der aktuellen Gesetzesvorlagen. Eine Ausweitung insbesondere der kleinen Wasserkraft verstärkt die negativen Umweltauswirkungen auf die Gewässer und deren Bewohner. Ein fatales Signal in Zeiten eines „Green Deal“ und ein Rückschlag für die Ziele der Biodiversitätsstrategie als auch der Wasserrahmenrichtlinie.

Das neue Wasserhaushaltsgesetz ist unter Drucksache 25/21 im Bundesrat angekommen. Wir fordern, dass dieser die Vorlage in ihrer aktuellen Form zurückweist und unsere Änderungsvorschläge in Anlage 4 prüft.

Diese Politik ist aus der Sicht des DAFV eine grobe Missachtung gegenüber dem fortschreitenden Artensterben. Hoffentlich wissen umweltbewusste Bürger das im Superwahljahr zu würdigen.


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