Blinde Aale, offene Hirne: Forscher entdecken neue Fischarten

Über 200 neue Fischarten im Süßwasser sind letztes Jahr entdeckt worden – darunter ein blinder Aal und ein Fisch mit „offenem Kopf“. Einige bemerkenswerte Exemplare stellen wir Ihnen hier vor.

Ein Aal ohne Augen, Schuppen oder Flossen, dafür aber mit feuerroter Haut? Das ist nur eine der neuen Fischarten, die im letzten Jahr entdeckt wurden. Foto: T. Thackeray

Bild: T. Thackeray

Ein Aal ohne Augen, Schuppen oder Flossen, dafür aber mit feuerroter Haut? Das ist nur eine der neuen Fischarten, die im letzten Jahr entdeckt wurden.

Kennen Sie schon den feuerroten Blindaal aus Mumbai? Oder „Danionella cerebrum“, ein winziges Fischlein, bei dem die Schädeldecke fehlt? Wahrscheinlich haben Sie von diesen seltsamen Wesen noch nie etwas gehört. Kein Wunder – sie wurden ja auch erst letztes Jahr entdeckt! Shoal, eine Initiative zum Schutz von Süßwasserfischen, hat einen Bericht über alle Fischarten vorgelegt, die 2021 zum ersten Mal bestimmt worden sind. Und die Liste ist gar nicht mal so kurz: Forscher haben letztes Jahr über 200 neue Fische entdeckt!

Über 200 neue Fischarten im letzten Jahr

Ohne Ihnen jetzt alle lateinischen Namen vorlegen zu wollen, zeigen die vielen Entdeckungen doch vor allem eins: Es gibt vieles, was wir über das Leben auf unserem Planeten noch gar nicht wissen. Flüsse, Seen und auch Feuchtgebiete haben eine Vielzahl an Bewohnern, die uns völlig unbekannt sind.

Dabei sind gut ein Drittel aller Fische im Süßwasser bedroht. Die Wissenschaft spielt also gegen die Zeit. Je früher sie eine Art entdecken und beschreiben können, desto besser ist auch die Chance, dass man sie schützen kann.

Danionella cerebrum: Der kleine Fisch mit dem offenen Kopf

Zu den bemerkenswertesten neuen Fischen aus dem letzten Jahr zählt zweifelsohne der kleine Danionella cerebrum. Das Wort „Cerebrum“ ist Latein für „Gehirn“ – denn genau das ist bei diesem winzigen Fisch so besonders, dass Hirnforscher ihn mit großem Interesse beobachten. Und zwar wortwörtlich: Danionella hat nämlich keine Schädeldecke, das Gehirn ist nur von Haut bedeckt. Damit ähneln selbst ausgewachsene Tiere noch Fischen im Larvenstadium. Allerdings haben sie ein komplexes Gehör, das Larven wiederum nicht ausbilden.

Die neue Fischart Danionella cerebrum hat keine Schädeldecke, das Hirn wird nur von Haut geschützt. Das macht den Fisch für Neurowissenschaftler interessant. Foto: R. Britz

Bild: R. Britz

Die neue Fischart Danionella cerebrum hat keine Schädeldecke, das Hirn wird nur von Haut geschützt. Das macht den Fisch für Neurowissenschaftler interessant.

 

Für Forscher ist der „offene Kopf“ dieser Fischart eine Goldgrube, um mehr über Gehirne im Allgemeinen herauszufinden. Hinzu kommt, dass Danionella fast komplett durchsichtig ist, man kann seine Organe also beobachten, ohne dem Fisch zu schaden. „Die Hirnfunktion von Fischen und Menschen ist vollkommen unterschiedlich, aber es gibt einige grundlegende Ähnlichkeiten“, sagte Dr. Ralf Britz von der Senkenberg Naturhistorischen Sammlung in Dresden. „Wie werden Informationen verarbeitet? Das ist eine sehr allgemeine Frage, auf die der Modell-Organismus Danionella uns Antworten liefern kann.“

Salmo baliki: Kaum entdeckt und schon bedroht

Die Forellenart Salmo baliki wurde erstmals 2021 im Fluss Murat in der Türkei beschrieben. Anwohner des Flusses kennen den Fisch aber schon viel länger – und befischen ihn so stark, dass die Art schon als bedroht gilt. Man schätzt ihn nicht nur als Speisefisch, sondern sagt ihm sogar übernatürliche Heilkräfte nach. Das Fleisch dieser Forelle soll gegen Magenbeschwerden helfen. Einen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt es nicht, doch der Aberglaube hält sich äußerst hartnäckig und trägt dazu bei, dass der Fisch schon kurz nach seiner Entdeckung ausgestorben sein könnte.

Die Forellenart Salmo baliki gilt bereits als stark bedroht. Ohne Schutzmaßnahmen könnte sie bald ausgestorben sein. Foto: D. Turan, M. Oral, C. Kaya, E. Bayçelebi

Bild: D. Turan, M. Oral, C. Kaya, E. Bayçelebi

Die Forellenart Salmo baliki gilt bereits als stark bedroht. Ohne Schutzmaßnahmen könnte sie bald ausgestorben sein.

Fischerei sei die größte Bedrohung für Salmo baliki, kommentierte Dr. Cüneyt Kaya. Vor allem der Einsatz verbotener Netze würde den Fischbestand empfindlich dezimieren, weil sie die Gelege der Forelle zerstören. Kaya und seine Kollegin Müneever Oral hatten im letzten Jahr schon die als ausgestorben vermutete Batman-Schmerle in der Türkei wiederentdeckt.

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Kijimuna- und Bunagaya-Grundel: Farbenfrohe Flussgeister

Diese beiden kleinen Fische der Gattung Lentipes leben in der Okinawa-Regin in Japan. Die „Kijimuna“ und „Bunagaya“ getauften Grundeln besitzen eine auffällige rote Musterung auf dem Körper. Daher kommen auch ihre Bezeichnungen. Sie sind nach gleichnamigen Waldgeistern benannt, denen man rote Haut und rotes Haar nachsagt.

Zwar haben sie einen ähnlichen Körperbau wie eine bekannte Art (Lentipes armatus), doch eine DNA-Untersuchung zeigte, dass es sich um eigene Arten handeln muss. Sie leben in kleinen Flüssen, sind aber auch in Okinawa überaus selten. Dr. Ken Maeda, der Erstautor der Studie über die Fische, nimmt an, dass sie von „irgendwo anders in Südostasien“ stammen und als Larven in die Region gelangt sind. „Über ihr Wanderverhalten und das Larvenstadium ist noch kaum etwas bekannt“, sagte er.

Percina freemanorum: Der einzige Nordamerikaner unter den neuen Fischarten

Man könnte meinen, dass die zahlreichen Flüsse der USA zu den am besten untersuchten Systemen der Welt zählen. Nun, trotzdem haben sie noch einige Geheimnisse zu bieten. Der kleine „Etowah Brindled Darter“ (Percina freemanorum) ist der einzige Süßwasserfisch, der 2021 in Nordamerika entdeckt wurde.

Der Etowah Brindled Darter ist die einzige Art, die 2021 in Nordamerika entdeckt wurde. Foto: Georgia Department of Natural Resources

Bild: Georgia Department of Natural Resources

Der Etowah Brindled Darter ist die einzige Art, die 2021 in Nordamerika entdeckt wurde.

Er steht als Zeitzeuge für die Artenvielfalt des Etowah Rivers in Georgia. Seinen ungewöhnlichen lateinischen Namen verdankt er den Süßwasserökologen Mary und Byron Freeman, die sich über Jahrzehnte für die Flüsse Nordamerikas eingesetzt haben.

Der Mumbai-Blindaal: Knallrot, schuppenlos und gruselig

Eine besonders unheimliche Entdeckung unter den neuen Fischarten haben wir uns für den Schluss aufgehoben. Der Mumbai-Blindaal (Rakthamichtys mumba) erscheint auf den ersten Blick wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Selbst gestandene Raubfische würden beim Anblick dieses roten, augenlosen Wesens die Flucht ergreifen!

Der Mumbai-Blindaal ist eine unheimliche neue Fischart, die 2021 entdeckt worden ist – am Grund eines Brunnens. Foto: T. Thackeray

Bild: T. Thackeray

Der Mumbai-Blindaal ist eine unheimliche neue Fischart, die 2021 entdeckt worden ist – am Grund eines Brunnens.

Der Blindaal lebt in unterirdischen Gewässern Indiens. Naturkundler Tejas Thackery fand den ungewöhnlichen Fisch am Grund eines 12 Meter tiefen Brunnens. Die Art hat sich fast in völliger Isolation zu ihrer jetzigen Gestalt entwickelt. Der Aal hat keine Schuppen oder Flossen, eine feuerrote Haut („raktham“ heißt „blutrot“ auf Malayalam) – und Augen sucht man bei diesem bemerkenswerten Fisch vergeblich.


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