Tide und Wind: Die Faktoren für den Wasserstand
Sogenannte „Fangfaktoren“ wie Wassertemperatur, Trübung des Wassers und Lichtverhältnisse sind auf Meerforellen von entscheidender Bedeutung. Beeinflusst werden diese Fangfaktoren wie Sichtigkeit im Wasser, Wassertemperatur und so weiter durch die Lichtverhältnisse und den Wind. Zum Glück lassen sie sich meist schon ein, zwei oder gar drei Tage vor dem Angeltag vorhersagen. Der Wind ist der Faktor, dem wir als Küsten-Fliegenfischer besonders viel Aufmerksamkeit schenken sollten – besonders im Vergleich zur Fischerei im Binnenland.
Wer die Tide beim Fischen beachten will, muss die Mondphasen berücksichtigen – schließlich haben Mond und Sonne einen Einfluss auf die Intensität der Gezeiten. Eigentlich richtig, doch in der vom Atlantik recht abgeschotteten Ostseeküste wirken die Gezeiten nur schwach. Je näher an der Nordsee das Revier liegt, desto größer sind die Gezeiten. Grundsätzlich ist Einfluss des Mondes auf den Wasserstandsunterschied in den Ostseerevieren aber nicht groß, bis 30 Zentimeter vielleicht, doch oft sind es eher nur 10 Zentimeter. Dennoch schwankt der Wasserstand am Ostseestrand ganz beträchtlich!
Wie in der Badewanne
Auch wenn die Gezeiten, die durch den Mond hervorgerufen werden, in der Ostsee recht spärlich ausfallen, ist die Tide relevant. Der Wind schafft beim Wasserstand die Fakten! Durch die Geologie der Ostsee als kleines, flaches Randmeer mit größerer Ost-West-Ausrichtung, können Windverhältnisse Wasserstandsunterschiede von drei Metern hervorrufen, recht normal sind ein bis anderthalb Meter Unterschied. Diese „Windtide“ ist kein seltenes Phänomen, sie ist jeden Tag an der Küste spürbar, denn ein bisschen Wind geht immer im Norden.
Das Verrückte: Es muss nicht mal starker Wind an ihrer Küste herrschen, wenn Sie gerade bis zur Hüfte im Wasser stehen, damit Sie eine deutliche, rasche Wasserstandsveränderung bemerken. Wenn auf der „anderen Seite“, z.B. an der Finnischen Küste, ein kräftiger Ostwind weht, steigt das Wasser bei uns merklich an – auch ohne Wind. Wie in einer Badewanne schwappt das dort verdrängte Wasser zu uns. Wenn Sie jetzt nichtsahnend auf der zweiten Sandbank stehen, kann Ihnen der Rückweg durch die etwas tiefere Rinne plötzlich abgeschnitten werden. Das ist nicht ungefährlich und jedes Jahr müssen Watangler von den Seenotrettern Situation gerettet werden!
Andersherum ist es genauso: wenn es bei uns kräftigen Westwind gibt, wird das Wasser Richtung Osten gedrückt und wir bekommen ein echtes Niedrigwasser. Der Effekt ist meist schnell spürbar, Wenn wir weiter an die Badewanne denken, ist klar, dass das Wasser irgendwann zurückschwappen muss. Dies passiert manchmal recht deutlich.
Aus allem Kapital schlagen
Die Forellen reagieren unglaublich schnell, selbst auf sich ins Extrem ändernde Bedingungen – und sie nutzen jede Chance auf leichte Beute. Einige Forellen, die sich teilweise fast im Spülsaum die verendeten Beutetiere des Vortages reinzogen. Klar, die toten Garnelen und Fischchen sind leicht und werden mit der auslaufenden Brandung an den Strand oder die Senke direkt davor gespült. Diese cleveren Forellen hatten es binnen weniger Stunden bemerkt und darauf reagiert. Beim Schlachten der einen entnommenen Forelle wurde es bestätigt, sie war bis zum Rand gefüllt mit teilweise ausgetrockneten Shrimps.
Das Beispiel zeigt, wie schnell Forellen ihren Vorteil aus sich verändernden Bedingungen schlagen. Nachmachen dürfte schwierig werden. Wie unerschrocken Forellen auf die Extrembedingungen reagieren und wie effektiv sie diese für ihren Vorteil nutzen. Im Laufe der Folgejahre habe ich dem Wasserstand immer viel Beachtung geschenkt, wenn er stark von der Norm abwich. Immer wieder hat sich gezeigt, dass Forellen keine Angst vor extremen Wasserständen haben – im Gegensatz zu vielen Fischern.
Bei extremem Niedrigwasser konnte ich oft dort Fische finden, wo Rinnen oder größere Flachwasserbereiche direkt an tieferes Wasser grenzen. Scheinbar wissen die Forellen, dass sich ein Teil ihrer Beute in tieferes Wasser bewegt mit sinkendem Wasserstand. Da alle Beutetiere insbesondere in den Momenten verwundbar sind, in denen sie ihr angestammtes Territorium verlassen und Neuland durchqueren, lauern die Forellen an diesen Übergängen.
Waten Sie also so weit hinaus, bis Sie einen mehr oder weniger deutlichen Übergang abfischen können – vergessen Sie für den Rückweg zum Ufer aber nicht, dass es unterwegs noch mal tiefer werden könnte. Sobald das Wasser steigt, bewegen die Forellen sich in Ufernähe und flache Bereiche. Wahrscheinlich ist es wieder so, dass sie die Beutetiere bei ihrer Rückwanderung in das Flachwasser überraschen. Folgen Sie dem steigenden Wasserstand also Richtung Ufer und werfen Sie in alle Richtungen!
Nahrungssuppe bei Hochwasser
Sie müssen sich also keine Gedanken darüber machen, dass die Fische irgendwo nicht sein könnten, weil am Vortag der Wasserstand dort nicht passte. Was hohe Wasserstände angeht, habe ich festgestellt, dass die Fische gern auf sonst zu flache Bereiche ziehen. Besonders beliebt ist an manchen dieser Tage der Bereich zwischen Tanggürtel (der sonst direkt am Ufer liegt) und Ufer. In diesem ehemaligem Spülsaum herrscht bei extremen Hochwassern oft eine leichte Trübung und es treibt allerlei Zeug herum, welches sonst am Strand liegt. Ein Teil dieses Zeugs kann abgestorbenes Seegras sein, in dem es von Hüpferlingen, Flohkrebsen und Asseln nur so wimmelt. In dieser „Suppe“ paddelt die Forelle gern herum und pickt sich die Leckereien heraus.
An einem sonnigen, milden Apriltag vor vielen Jahren konnte ich von einer Steilküste aus beobachten, wie gezielt die Forellen ein solches Hochwasser ausnutzten. Es schwammen viele, sehr viele Fische in meinem Blickfeld aktiv und fast aufgeregt durch den Blasentanggürtel, dessen steil aufragende Arme ein schönes, sicheres Labyrinth ergaben. Immer wieder sah ich einzelne Forellen Richtung Ufer vorschnellen und das weiße Maul auf- und zuklappen. Dabei wagten sie sich kurzzeitig in nur 20 Zentimeter tiefes Wasser, zogen sich aber augenblicklich wieder in den Blasentang zurück.
Das Fischen in einer solchen Situation erfordert optimalerweise eine Schwimmschnur und möglichst unbeschwerte Fliegen – trotz Hochwasser. Wer das Glück hat, so etwas zu erleben, der sollte umsichtig vorgehen und ein gutes Stück entfernt vom Wasser entlangpirschen, um einzelne Fische anzuwerfen. Wer jetzt nach Standard-Schema in die Ostsee steigt und stur geradeaus fischt, wird viele Fische vertreiben und wahrscheinlich nichts fangen. Ein Problem kann das viele herumtreibende Seegras und der Blasentang machen. Ich habe genau dies in der oben beschriebenen Situation erlebt: eine Unzahl fressender Fische vor meinen Füßen und bei jedem Wurf nach zwei Stripps ein halbes Pfund Seegras am Haken – ich bin verrückt geworden! Hätte ich eine leichte Tangläufer-Imitation mit einem Krautschutz aus Monofil überm Haken gehabt, wäre es wohl ein epochaler Tag geworden. Natürlich waren die Bedingungen am nächsten Tag (als ich wieder vor und mit entsprechendem Muster ausgestattet war) komplett anders und die Fische ganz woanders.
Auch kleine Schwankungen zählen
Auch im Normalbereich sollte man den Wasserstand im Blick behalten. Der Normalbereich ist für mich eine Schwankung von 20, 30 Zentimetern um den Normalstand. Je flacher mein Revier, desto geringer müssen diese Schwankungen sein, um beim Fisch eine Verhaltensänderung zu bewirken. An sehr flachen Plätzen können sogar die geringen Gezeiten, die durch Sonnen und Mond hervorgerufen werden, ins Gewicht fallen. Die Regeln für diese moderaten Schwankungen sind allerdings ganz einfach: bei sehr wenig Wasser sollten Sie die weitläufigen Flachwasserbereiche meiden! Nicht selten verlassen die Forellen solche Plätze unter diesen Umständen – oder sie sind sehr schwer zu fangen, dafür aber umso leichter zu verschrecken. Es scheint so, dass Meerforellen Wasser eine gewissen Mindest-Wohlfühltiefe haben. Dabei ist diese stark von der Wassertrübung, Lichtintensität (und der Temperatur) abhängig, als Richtwert für einen längeren Aufenthalt am Platz im klaren Wasser kann man sich aber so 70 Zentimeter Tiefe merken.
Bei etwas erhöhtem Wasserstand können Sie hingegen gern mal die flachsten Rinnen oder die Riff-Rücken befischen, die Sie sonst links liegen lassen – Bereiche also, in die sich die Forellen sonst eher selten wagen. Hier gibt es oft viel Vegetation und viel Nahrung, die es gar nicht gewohnt ist, dass die Forellen hier Hausbesuche machen.
Ein Aspekt der Wasserstandsänderungen ist, dass diese Strömung mit sich bringen. Ablaufendes Wasser aus warmen, flachen Rinnen bringt im Frühjahr eine regelrechte Lockströmung ins offene Wasser aus. So finden die temperaturempfindlichen Forellen in der kälteren Jahreszeit zielsicher in ufernahe Rinnen. Sinkt das Wasser stärker ab, kann ein richtiger Sog aus den Rinnen entstehen, in dem schon mal Beute mitgerissen wird.
An Landspitzen, Riffs und Meerengen entsteht durch die Tide mancherorts eine kräftige Strömung. Das kann bis zu Verhältnissen wie im Fluss führen und wir können die Fliege im Swing präsentieren. Gerade in der wärmeren Jahreszeit schätzen die Meerforellen diese gut durchströmten Plätze. Eine laue Sommernacht auf dem Riff, in der man die Oberflächenfliege in der Tideströmung herumkommen lässt … Ach, ohne die Tide wäre die Fischerei in der Ostsee wirklich nur halb so interessant.
Tipp: Vorhersagen und Sicherheit
Die Webseiten der offiziellen Einrichtungen für Datenerhebungen in Deutschland und Dänemark bieten Vorhersagekurven für Wasserstände an der Ostsee. Bei der komplexen Berechnung dieser Kurven werden Windvorhersagen der gesamten Region mit einbezogen. Im Ergebnis kann man sich überraschend gut auf die Prognosen verlassen. Wenn jedoch der sichere Rückweg von einer Sandbank davon abhängt, sollten Sie sich nicht allein auf die Prognose verlassen. Markieren Sie mit Steinen am Ufer einen sicheren Wasserstand! Für die normale Fischerei jedoch sind die Vorhersagen absolut ausreichend und Gold wert.
Dänemark: www.dmi.dk/vandstand/
Deutschland: www.bsh.de (Reiter ,Daten‘ – Menüpunkt ,Vorhersagen‘)
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