Stellen Sie sich vor, Sie sehen mit 80 Jahren immer noch so aus wie mit 20 – nur vielleicht noch etwas größer als früher. Das klingt verrückt und zu schön, um wahr zu sein. Für einige Fische ist das aber die Wirklichkeit! Unter den richtigen Umständen können sie mehrere Jahrzehnte alt werden, ohne dabei ihre „Jugend“ zu verlieren. Die Fische altern nicht, sondern werden einfach nur größer. Wie kann das sein?
Die Fische altern nicht, weil die Natur es ihnen erlaubt
Forscher in Ontario, Kanada, untersuchten seit 1968 einen Bestand von Seesaiblingen in einigen isolierten Seen. Dabei machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Sie fingen dieselben Exemplare teils mehrere Jahre nacheinander, ohne dass die Fische sich verändert hatten. Sie zeigten keinerlei Zeichen des Alters, und das über Jahrzehnte.
Der Grund dafür liegt in den einzigartigen Gegebenheiten vor Ort. Die Amerikanischen Seesaiblinge (Lake Trout, Salvelinus namaycush) stehen in den untersuchten Seen an der Spitze der Nahrungskette – es gibt nichts, was einem großen Seesaibling gefährlich werden könnte. Da ein großer Fisch in Sachen Fortpflanzung einem kleinen Fisch gegenüber klar im Vorteil ist, lohnt es sich für sie, älter zu werden und zu wachsen. Dabei ist bei ihnen von „sexueller Erschöpfung“ nichts zu sehen, wie Dr. Craig Purchase beschreibt.
„Den alten Fischen ging es großartig“, erklärt er. „Mit den Jahrzehnten gibt es zwar eine gewisse Zunahme in der Sterblichkeit, aber sie können ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung komplett beibehalten. Ein alter Saibling ist dazu genauso fähig wie ein junger.“
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Fische hören nicht auf zu wachsen
Möglich macht das eine Eigenheit von Fischen, die Säugetiere nicht haben: Sie hören nie auf zu wachsen. Je älter sie werden, desto größer sind sie auch. Anders ist es bei uns Säugetieren. Erwachsen heißt bei uns erwachsen – „ausgewachsen“ eben. Während alte Säugetiere also ihre Jugend und ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung verlieren, behalten die Seesaiblinge sie bei. „Es hat seine Vorteile, alt zu sein – denn man ist groß“, sagt Purchase. „Die Evolution sollte das belohnen.“
Für Tiere, die bei anderen auf der Speisekarte stehen, ergibt es wenig Sinn, ihren Körper in einem jugendlichen Zustand zu halten. Wenn man jederzeit gefressen werden könnte, ist das Energieverschwendung. Die Seesaiblinge aber, die in den untersuchten Gewässern leben, haben dieses Problem nicht. Sie können ihre Ressourcen darauf verwenden, jung zu bleiben; die Fische altern also nicht. „Es gibt am Grund dieser Seen praktisch keine Raubfische, die einem großen Seesaibling gefährlich werden können“, erklärt Purchase weiter. „Es ist also viel vorteilhafter, ein alter Seesaibling zu sein als ein altes Säugetier.“
Die Forscher sehen in ihrer Beobachtung bestätigt, was die Evolutionstheorie vorhersagt. Sie besagt nämlich, dass Tierarten, deren reproduktives Potenzial (also ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung) ansteigt, je größer sie werden, weniger altern sollten. Für größere Exemplare sinkt die Gefahr, gefressen zu werden. Es lohnt sich für diese Spezies also, sich „jung“ zu halten.
Könnte auch der Mensch für immer jung bleiben?
Für den Menschen ist diese Entdeckung zunächst ein schwacher Trost. Unsere Vorfahren wuchsen in einer Umgebung voller Räuber auf. Wenn in der Steppe jederzeit ein Löwe lauern kann, ist es eben unwahrscheinlich, alt zu werden. Die Natur hat also vorgesehen, dass wir in unserer Jugend die besten Voraussetzungen haben, uns fortzupflanzen.
Dennoch sind die Untersuchungen der kanadischen Forscher interessant. Zu wissen, dass der Alterungsprozess keine universelle Angelegenheit ist, wirft Fragen über das Altern an sich auf. Wenn beim Altern nicht dieselben Gesetze für jede Tierart gelten – wie könnte man sie verbiegen? Noch sei man davon aber weit entfernt, sagt Purchase. „Wir haben noch kein Heilmittel gegen den Tod gefunden.“
(Anmerkung: In einer früheren Fassung dieses Beitrags war von Seeforellen statt Saiblingen die Rede. Dabei handelte es sich allerdings um einen Fehler, den wir angepasst haben.)
Quelle: Castanet