September 2006 Höhe: 10.000 m, Geschwindigkeit: 800 km/h, verbleibende Flugdauer: 9h 24min. Der Flug ist gut und günstig denke ich mir. Genau 5 Jahre nach dem Terroranschlag auf den World Trade Center sitze ich mit meinem Vater in einer maximal zu einem Drittel gefüllten LTU-Maschine in Richtung Kuba.
Jeder von uns hat 4 Sitze für sich. Ich drehe mich noch mal um. Von Terroristen keine Spur. Nur leichte Turbulenzen erschweren den Stewardessen die Kaffeeausgabe. Voller Vorfreude schlage ich den Reiseführer auf: Hemingway Der alte Mann und das Meer, Kuba. Weltliteratur des 20. Jahrhunderts: Die Handlung ist auf einen kubanischen Fischer namens Santiago fokussiert. So fährt Santiago am 85. Tag allein weit in den Golf hinaus. Er legt seine Leinen aus. Gegen Mittag des ersten Tages beißt ein großer Fisch an, von dem er sicher ist, dass es sich um einen Marlin handelt. Santiago kann den großen Fisch nicht in das Schiff ziehen, stattdessen zieht der Fisch das Schiff. So vergehen zwei Tage und zwei Nächte des Kampfes, in denen der alte Mann den Zug des Fisches und das schneidende Seil allein mit seinen Händen hält. Trotz der Wunden und des Schmerzes, den der Marlin ihm zufügt, findet Santiago eine Bindung zu dem Fisch, den er seinen Bruder zu nennen beginnt. Wahnsinn. Kein Kampfstuhl, keine Motoryacht, keine Hightech-Karbonrute! Ein fairer Kampf mit Würde, denke ich mir. Ich glaube jeder von uns beginnt hier direkt zu träumen. Die Schnur trotz blutiger Hand loslassen? Niemals! Das ist der Fisch des Lebens! September Außentemperatur: 37°C, Wassertemperatur: 28°C. Schneeweißer Sandstrand, links und rechts Kokospalmen, der Blick aufs türkisblaue Meer. Paradies. Ich liege mit einer kalten Pina Colada aus frischer Kokosmilch in der Nachmittagssonne Kubas und genieße die 2. Urlaubswoche. Ein auffällig deutsch aussehender Tourist läuft mit einer Angel in der Hand am Wasser entlang. Zu enge Badehose, Bauchansatz, Badelatschen und Plastiktüte. Wir kommen ins Gespräch. Klaus, geschätzt Ende 40, Ossi, voll nett. Er erzählt was vom BigGame-Fischen und Blue Marlin. Alles viel zu teuer hier! schimpft er. Ich weiß nicht wer auf diese Idee kam, aber der Plan stand: Morgen um 11 Uhr leihen wir uns ein Kajak und versuchen unser Glück. Vielleicht beißt ja was. September Wurfgewicht: 80g, Länge: 2,40m, Spitzenaktion. Klaus drückt mir seine 2. Rute in die Hand. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. Unsere Ausrüstung ist gigantisch schlecht. Die 40er Mono ist wahrscheinlich schon älter als ich. Und dann der Blick in die Köderbox: ein paar Pilker, ein rostiger Blinker, und mehrere kleine Gummifische, die man fürs Zanderangeln verwenden könnte, wenn sie Aktion zeigen würden. Es geht los. Im knietiefen Wasser gelingt uns der Einstieg in das gelbe Plastik-Kajak beim 2.Versuch. Ich fühle mich wie auf einem Surfbrett. Selbst der lässige Kubaner vom Bootsverleih muss grinsen. Wir paddeln raus. Es ist hier viel zu warm, wir müssen in tiefere Gewässer. Nach ca. 1km, der Strand nur noch winzig klein, sehen wir den sandigen Meeresgrund immer noch deutlich. Vereinzelt tauchen große dunkle Bereiche auf. Wenn Fische hier sind, dann stehen sie doch über den Steinen! ruft mir Klaus zu. Beim ersten Auswerfen wird uns klar, dass das ne wackelige Angelegenheit wird. Also nur Unterhandwurf und sinken lassen. Der Gummifisch wird langsam über den Grund gezupft. Nach den ersten 10 Würfen merken wir, wie heiß die Mittagssonne auf Kuba sein kann. Und wir Deppen haben noch nicht mal was zu trinken dabei. Nach einer halben Stunde ohne Biss beschlossen wir nochmals 500m weiter raus zu paddeln. Beim Blick zurück Richtung Strand überkam mir ein mulmiges Gefühl. Bald sind wir in Mexiko, scherzte Klaus. Endlich ist das Wasser dunkel gefärbt, hier ist es schon richtig tief. Beim 2. Wurf in der Absinkphase: harter Biss! Anhieb, der Fisch sitzt. Wow, nimmt der Schnur! In konstanter Geschwindigkeit nimmt der Fisch Schnur von der schlecht geölten Rolle mit kreischender Bremse. Trotzdem ein geiler Sound, der das Anglerherz höher Schlagen lässt. Nach wenigen Minuten schon neigt sich unser Schnurvorrat dem Ende zu. Die Bremse wird 3 Stufen fester gezogen, der Druck auf den Fisch erhöht. Die Billigrute biegt sich bis ins Handteil, doch sie hält! Sehr gut, der Fisch gewinnt kaum noch an Schnur. In diesem Augenblick merke ich wie wir Fahrt aufnehmen. Der Fisch zieht uns im wackeligen Kajak weiter aufs offene Meer. Was das wohl für ein Fisch ist? Klaus tippt auf Baracuda, ich träume von Hemingways Marlin. Oder vielleicht ein Hai? Die Situation ist unbeschreiblich. Schon seit 20min sehen wir beide zu, wie der Fisch uns unermüdlich und nicht von der Richtung abweichend auf das offene Meer hinauszieht. Wir können nur zuschauen und staunen, was der Fisch für eine Power hat. Klaus faselt schon was vom Messer und Schnur durchschneiden, und dass wir eh kein Gaff dabei haben. Ich erzähle ihm die Geschichte vom Alten Mann und dem Meer. Wir müssen lachen. Jetzt, nach 30 minütiger Drillzeit werden unsere Gebete erhört. Der Fisch fängt an zu Kreisen. Mal links mal rechts, wir gewinnen langsam an Schnur. Die Fluchten sind zwar energisch, aber nicht mehr ausdauernd. Nach weiteren 5 bis 10 Minuten steht der Fisch unter dem Boot. Ein heikler Moment. Wo geht er hin? Jetzt keinen Fehler machen! Das Boot dreht sich. Der Fisch steigt etwas auf. Endlich der erste Sichtkontakt: Etwas großes Blaues gleitet in 10 Metern Tiefe majestätisch unter unserem Boot her. Adrenalin pur! Was war das? Keine Ahnung! Die Kreise werden immer kleiner, der Fisch kommt höher. Endlich haben wir ihn an der Oberfläche: Kein Marlin, kein Hai und kein Baracuda Eine Dickkopf-Makrele von knapp 40 Pfund Kampfgewicht zog ihre beiden letzten Runden. Mit einem beherzten Schwanzgriff konnten wir sie dann sicher landen. Für den Weg zurück benötigten wir eine Stunde. Klaus musste rudern, da ich den Fisch nicht aus der Hand geben wollte. Durch den Herzstich tropfte eine beachtliche Menge Blut ins Wasser. Die Haie aus Hemingways Geschichte blieben allerdings aus Ein Bericht von Stephan Krampe, vor Mai 2009