Es ist kurz nach Mitternacht, als wir den Hafen von Thyborøn im Norden von Dänemark erreichen. Von hier aus starten gleich mehrere Schiffe, die Angler hinaus zu den fischreichen Fanggründen steuern. Wir haben uns eingebucht für eine 20-stündige Ausfahrt an Bord der „MS Nemo“, einem 30 Meter langen und sechs Meter breiten nordseetauglichen Stahlschiff.
Im Hafen ist es still, kein Mensch weit und breit zu sehen. Auch von dem in den Wetterprognosen vorhergesagten Wind ist bis jetzt nichts zu spüren. Die Meteorologen haben für heute Windstärken von vier bis fünf Beaufort aus nördlichen Richtungen gemeldet. Im Normalfall werden wir drei nicht seekrank, haben aber vorgesorgt und uns sicherheitshalber jeweils eine Reisetablette eingeworfen. Die Nordseewellen sind wesentlich länger und teilweise auch höher als die Standard-Ostseewellen, die wir gewohnt sind und zuverlässig einschätzen können.
Friedlich schlummernd zu den Fanggründen der Nordsee
Jetzt müssen nur noch schnell das Angelgerät und die Reisetaschen an Bord verstaut werden und dann geht es ab in die Koje, denn die sechsstündige Anreise mit dem Auto war anstrengend und fordert jetzt ihren Tribut. Laut schnarchend werden wir unter Deck von einigen dänischen Angelkollegen begrüßt. Glücklicherweise haben wir vorgesorgt, belegen unsere separate Dreibett-Kabine und können dank der mitgebrachten Ohrenstöpsel wenig später auch seelenruhig einschlafen.
Gegen 2 Uhr rumpelt es noch einmal kurz in der Koje. Der Motor des Schiffes startet und die „MS Nemo“ verlässt mit einem beruhigenden, gleichmäßigen Motorengeräusch den sicheren Heimathafen von Thyborøn – Kurs: Nordwest. In den folgenden Stunden werde ich jedoch immer wieder kurzzeitig wach. Gegen 6.30 Uhr halte ich es einfach nicht mehr aus – zu stark ist der Drang, einen Blick aufs Wasser zu werfen. Fix werden die Angelklamotten angezogen und einige Augenblicke später und einige Treppenstufen höher stehe ich in der Messe, dem Ess- und Aufenthaltsraum des Schiffes.
Bestes Wetter für einen Angeltrip
Herzlich werde ich von einem halben Dutzend freundlicher Dänen willkommen geheißen. Beim Blick aus dem Fenster kann ich es einfach nicht fassen. Ententeich! Die Nordsee liegt wie ein Spiegel dar. Kein Wind und keine Welle, einfach perfektes Wetter – abgesehen von dem leichten Nieselregen. Zum Glück haben sich die Wetterfrösche mit der Windvorhersage gewaltig vertan. Es kribbelt jetzt so richtig in den Fingern. Über vier Stunden Ausfahrt liegen bereits hinter uns. Die Kartenplotter-App meines Smartphones zeigt an: Wir befinden uns zwischen Dänemark und Norwegen, unweit der norwegischen Rinne.
Nach einem ausgiebigen, leckeren Frühstück und dem Fertigmachen des Angelgeräts lernen wir den Kapitän des Schiffes kennen: Ivan Lymann, ein ehemaliger, erfahrener Fischer. Im Gespräch mit ihm wird schnell klar, dass die Nordsee sein Revier ist – hier kennt er sich aus. Die vielen Punkte auf dem Kartenplotter zeigen es deutlich, jeden Quadratzentimeter hat er in diesem Gebiet bereits mit seinem Schiff beackert. Heute wollen wir über großen Steinen am Grund fischen. Hier schwimmt alles rum, was Flossen hat und in der Nordsee zu Hause ist. Diese Spots liegen allerdings sehr weit draußen, mittlerweile sind wir schon sechs Stunden unterwegs.
Fangen statt fahren
Plötzlich wird das Schiff langsamer. Es geht los! Nach dem „Hupen“ der Schiffssirene sausen unsere Montagen Richtung Meeresgrund. Ich habe mich entschieden, ein Pilk-System mit einem Pilker und einem zusätzlichen Gummi-Mak als weitere Anbissstelle zu verwenden. Basti setzt auf ein Vorfach mit zwei Beifängern oberhalb eines 300 Gramm schweren Bleis. Auf den Haken befinden sich rot-gelbe künstliche Oktopusse. Sie sollen kleine Tintenfische oder die hier vorkommenden Seespinnen imitieren.
Oktopus statt Pilker fängt in der dänischen Nordsee
Bei circa 60 Meter Wassertiefe dauert es eine Weile, bis die Montagen den Grund erreichen. Anspannung liegt in der Luft! Wir müssen nicht lange warten: Bei Basti ist das charakteristische Rucken eines Bisses in der Rutenspitze zu erkennen. Er setzt einen vorsichtigen Anhieb und hält den Fisch noch einen Moment unten, in der Hoffnung einen weiteren Fisch an seine Montage zu bekommen. So ist es dann auch: Nach einem kurzen, aber knackigen Drill durchbricht eine Doublette – Dorsche in perfekter Küchengröße – die Wasseroberfläche. Was für ein toller Einstand, Petri Heil!
Ich tue mich zunächst noch ein bisschen schwer, wechsle dann die Montage ebenfalls auf ein Oktopus-System. Kurze Zeit später bin auch ich das erste Mal erfolgreich und hieve einen richtig schönen, wohlgenährten Dorsch von mehr als 80 Zentimeter Länge über die Reling. Basti fängt fast zeitgleich einen kleineren Schellfisch. Es geht Schlag auf Schlag…
Im Laufe des Vormittags fangen wir immer wieder tolle Dorsche. Aber auch hier draußen, an vielleicht einem der besten Meeresangelspots Dänemarks, springen die Fische auch nicht einfach so in die Kiste. Wir müssen schon einiges probieren, um erfolgreich zu sein. Immer wieder wechseln wir die Montagen, Pilkergewichte und Pilkerformen. Das häufige Probieren zahlt sich aus, ein Blick in unsere Fischkübel lässt uns zufrieden grinsen.
Hektik nach Hotdog
Gegen Mittag herrscht absolute Fangflaute, es geht so gut wie nichts mehr. Es ist die perfekte Zeit für das Mittagessen. Es gibt traditionelle dänische Hotdogs mit allen erdenklichen Zutaten zum selber belegen – ein Traum nach den kräftezehrenden Drills. Kapitän Ivan nutzt die kleine Mittagspause auf seine Weise. Er versetzt das Schiff bei einer circa 30-minütigen Fahrt und sucht neue Schwärme. Ich habe meinen Hotdog noch nicht ganz verschlugen, da stoppt Ivan ohne Vorwarnung plötzlich und hektisch das Schiff. Wir stehen noch nicht mal richtig in der Drift, da ertönt schon die Hupe. Also schnell die Montagen runter!
Anscheinend hat der Kapitän einen größeren Schwarm auf seinem Echolot gesehen. Erwartungsvoll lassen wir unsere Köder zum Grund sausen. Angekommen! Heben, senken, heben, senken… Boom!!! Da ist der ersehnte Biss. Ich kann den Fisch ein wenig nach oben pumpen, doch dann geht plötzlich nichts mehr. Fest? Hänger? Nein, ganz im Gegenteil – ein weiterer Dorsch hat sich den anderen Köder geschnappt. Langsam und gleichmäßig drille ich die Fische bis zur Oberfläche. Was für eine tolle Dorsch-Doublette. Die Freude ist groß, als die beiden circa 75 Zentimeter langen Fische wenig später an Bord gehievt werden.
Auch bei allen anderen Angelkollegen krümmten sich in diesen Momenten die Ruten, alle konnten fangen. Es waren fast ausnahmslos Fische in einer exzellenten Einheitsgröße – Petri Dank! Doch so plötzlich der Schwarm da war, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Ivan versucht, mit der „Nemo“ noch einmal den Spot anzusteuern – leider ohne Erfolg. Jetzt ändert der Kapitän seine Strategie: Hier in der nördlichen Nordsee liegen unzählige Schiffwracks, einige von ihnen sind wahre Fischmagnete und beherbergen teilweise starke Bestände. Insbesondere schwimmen hier oft kapitale Räuber und zudem herrscht meist eine hohe Artenvielfalt.
Wracks servieren eine „bunte Tüte“ Nordseefisch
Im Laufe des Nachmittags klappern wir immer wieder verschiedene Wracks in Tiefen zwischen 20 und 80 Metern ab. Mal sind teilweise gleich mehrere Ruten krumm, mal passiert rein gar nichts. Auffällig ist, dass wir uns auf den Wracks eine „bunte Tüte“ zusammen angeln. Pollacks, Köhler, Dorsche, Schellfische, Makrelen und viele halbstarke Lengs gehen an unsere Montagen. Das Angeln ist kurzweilig, wir fangen weiter. Der Tag vergeht wie im Flug, jetzt ist es bereits 16 Uhr. Mit einem dreimaligen Hupen beendet Kapitän Ivan den heutigen Angeltag.
Wir sind kaputt, aber unendlich glücklich. Sebastian und ich sind uns einig: So einen schönen und erfolgreichen Ausflug auf See haben wir lange nicht mehr erlebt. Das Verarbeiten der Fische zu leckeren Filets ist in Teamarbeit schnell erledigt und so können wir uns wenig später noch ein paar Stunden in die Kojen verkrümeln. Wir werden Kraft tanken für die Rückfahrt nach Deutschland und ganz nebenbei noch ein wenig träumen – von unserer nächsten Ausfahrt, einer weiteren 20-stündigen Angelsafari mit der „MS Nemo“.