Die Ostsee verwandelt sich in eine Fischwüste! Dorsch und Hering sind beständig auf dem Rückzug, um die Meerforellen ist es auch schlecht bestellt, und überhaupt geht alles den Bach runter. Wenn man sich die Berichte zur Bestandsentwicklung in der Ostsee ansieht, möchte man als Angler am liebsten jemanden anschreien. Vor allem, weil man selbst so wenig dagegen unternehmen kann. Außer weniger angeln zu gehen, aber was ist eine einzelne Angelrute gegen Fischernetze und hungrige Vogelmägen? Aber wie verhält es sich eigentlich mit dem Kormoran und dem Berufsfischer – wer entnimmt mehr Fisch?
Kormoran oder Berufsfischer? Jeder zeigt auf jeden …
Naturschützer zeigen gern mit dem Finger auf Berufsfischer, die tonnenweise Fisch aus der Ostsee entnehmen. Die Fischer wiederum zeigen auf die Naturschützer – beziehungsweise an ihnen vorbei auf den Kormoran. Die überschützten Vögel fressen ihnen die Haare vom Kopf (beziehungsweise den Fisch aus den Netzen), während sie sich selbst nach immer strengeren Fangquoten richten müssen. Und als Angler, der sich an ein striktes und sinniges Bag-Limit hält, zeigt man ja sowieso auf beide. Aber an wen sollte sich die Kritik mehr richten? Die Antwort ist überraschend, wie eine neue Studie vom Institut für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow zeigt.
Viel Fisch im Bauch: Forscher untersuchten Speiballen der Vögel
Forscher des Instituts wollten nachweisen, wie groß der Hunger der Kormorane an der Ostseeküste wirklich ist. Dazu untersuchten sie an mehreren Standorten in Schleswig-Holstein die Speiballen der Vögel auf die Überreste ihrer Beute – zum Beispiel Gehörsteine, Kauplatten und Kieferknochen. Anhand dieser Funde konnten sie zuordnen, welche Fische die Kormorane gefressen hatten.
Die Zahlen lassen erstmal schlucken. In fast 1.100 untersuchten Speiballen fanden die Forscher Rest von beinahe 12.600 Fischen – also fast zwölf Fische pro Vogel. Insgesamt waren 33 Fischarten in den Überresten zu finden.
Wie viel Hunger hat ein Kormoran?
Nun hat der Kormoran aber keinen Einfluss auf kommerziell genutzte Fischbestände wie Dorsch und Hering – das Argument bringen Vogelschützer jedenfalls gern vor. Sie fressen vor allem Fische, die für Berufsfischer (und Angler) sowieso uninteressant sind, und ihr Nahrungsbedarf liegt bei etwa 180 bis 230 Gramm Fisch pro Tag. Nun wird jeder Angler, der schon einmal gesehen kann, was für große Fische ein Kormoran am Stück verschlingen kann, da die Augenbrauen heben. 200 Gramm, das wäre ja gerade mal ein durchschnittlicher Hering. Wird Kormoran davon satt?
Anhand der Proben, die die Forscher sammelten, muss man die Zahl ganz schön nach oben korrigieren. Durchschnittlich fraßen die untersuchten Kormorane 450 bis 800 Gramm Fisch pro Tag – also zum Teil viermal so viel! Hier muss man allerdings bedenken, dass es sich um Ausreißer handelt. Dennoch kann ein Kormoran gut und gern 500 Gramm Fisch fressen, gerade in der Brutzeit. Hinzu kommt, dass nicht jeder Fisch im Magen eines Kormorans landen muss. Bei der Jagd fügen die Vögel ihrer Beute teils tödliche Wunden zu. Selbst Fische, die ihnen zunächst entkommen, verenden daher später.
Der Kormoran frisst dem Berufsfischer die Beute weg
Und dass Kormorane nur „uninteressante“ Fische fressen (da urteilen Fischer ja ohnehin anders als Angler, aber das ist ein anderes Thema), ist auch nicht korrekt. An der Schlei, dem Güsdorfer Teich und dem Dassower See, wo die Forscher ihre Proben nahmen, stellten sie fest, dass vor allem Dorsch und Hering auf der Speisekarte der Kormorane standen. Besonders gravierend war dies am Dassower See, einer Brackwasser-Bucht an der Trave. Jeder vierte Fisch im Magen der Kormorane war ein Dorsch – mindestens! Bei einigen Messungen verzeichneten die Forscher sogar Anteile von über 95 Prozent. Da bleibt nicht mehr viel (Bauch-)Raum für andere Fischarten …
Bis zu 120 Tonnen Dorsch pro Jahr?
Hochgerechnet auf den gesamten Kormoranbestand an der Lübecker Bucht konnten die Forscher eine interessante Zahl ermitteln. So fressen alle Kormorane insgesamt pro Jahr 100 bis 120 Tonnen Dorsch pro Jahr. Klingt nach viel? Und ob! Das ist sogar mehr, als Berufsfischer im Jahr fangen dürfen – nämlich 104 Tonnen, und zwar an der ganzen Ostsee. Als reiner Beifang, muss man dazu sagen. Zuletzt lag die Fangquote noch bei 4.000 Tonnen und ist damit um über 90 Prozent reduziert worden.
Um 2016 hat es in Deutschland laut Angaben des Deutschen Fischerei-Verbands 125.000 Kormorane an der deutschen Küste gegeben, die Zahl dürfte in den letzten Jahren noch gestiegen sein. Führte man die Hochrechnung fort, muss der Fraßdruck auf den Dorsch astronomisch sein.
Man muss das Management anpassen!
Die Zahlen lassen nur einen vernünftigen Schluss zu. Dem Kormoran ist es gleich, ob man als Angler oder Berufsfischer argumentiert: Um dem Vogel Herr zu werden, muss man das Bestandsmanagement anpassen. Der Fraßdruck, den die Kormorane ausüben, gefährdet schließlich nicht nur die Fischerei, sondern große Teile der Fischpopulation. Eine Regulierung – durch Jagd – wäre demnach im Sinne aller, für die der Naturschutz nicht an der Wasseroberfläche aufhört.
Auch wenn das Grundansinnen von Vogelschützern richtig ist, muss man doch einsehen, dass eine Art auch „überbehütet“ werden kann. Beim Kormoran ist das eindeutig der Fall. Er ist inzwischen zu einer Plage geworden, die unsere Fischbestände gefährdet. Selbst wenn alle Fischer und Angler vollständig aufhören würden, Fisch zu entnehmen, bliebe der Hunger der Vögel derselbe.
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„Das ist kein vernünftiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen, wenn die Fischer nur noch Hilfsgelder empfangen, um statt wertvoller Nahrungsmittel nur noch Vogelfutter für Kormorane zu produzieren“, sagte Stefan Jäger zu dem Problem. Er ist Vorsitzender der Kormorankommission des Deutschen Fischerei-Verbandes (DFV).
Zwar argumentiert Jäger natürlich primär für die Interessen der Berufsfischer, doch diese decken sich auch mit uns Anglern. Es ist immerhin gut und richtig, Dorsch und Hering zu schonen. Fangquoten, Schonzeiten und Bag-Limits sind jedoch nicht genug, wenn es noch einen Mitspieler gibt, der sich nicht an diese Regeln hält.
Quelle: FischMagazin, Insitut für Binnenfischerei e.V., GEO