Haksterblichkeit nach Catch and Release
Wie viele Fische sterben nach dem Zurücksetzen, wie viele überleben? Professor Dr. -Robert Arlinghaus zeigt, dass dies vor allem von der Fischart und den Fangumständen abhängt.
Jeder Angler hat schon Fische zurückgesetzt: das zufällig gefangene Rotauge beim Schleienangeln, die untermaßige Forelle oder den geschonten Zander. Auch wenn der Fisch munter wegschwimmt, eine Ungewissenheit bleibt – der Haken saß schon recht tief und der Fisch taumelte ein wenig beim Abtauchen.Wir wissen nicht, ob er es geschafft hat. Ethisch, aber auch fischereibiologisch ist es daher von großer Bedeutung zu wissen, ob zurückgesetzte Fische überleben. Wir haben über 100 Studien zur sogenannten Haksterblichkeit und den wichtigsten Einflussfaktoren darauf ausgewertet.
Von Null bis Neunzig
Damit Sie einen Eindruck der Größenordnung bekommen: 219 Einzelschätzungen von 17 heimischen oder nahe verwandten Fischarten ergaben eine durchschnittliche Haksterblichkeit von 15,6 Prozent. Die Schwankungsbreite ist aber enorm, sie reicht von null Prozent (alle Fische überleben nach dem Zurücksetzen) bis zu 88,5 Prozent (fast alle Fische sterben). Überwiegend (bei 57 Prozent aller Studien) überleben aber mehr als 90 Prozent aller Fische, das heißt die Haksterblichkeit beträgt meist deutlich unter zehn Prozent. Alleine diese Daten zeigen, dass man sehr vorsichtig sein muss, Überlebensraten oder Haksterblichkeiten zu pauschalisieren.
Die tatsächlich entstehende Sterblichkeit hängt von vielen, teils zusammenwirkenden Faktoren und ganz entscheidend von der Fischart ab. Es ist ein Unterschied, ob Sie einen tief geschluckten Zander aus 20 Metern Wassertiefe hochkurbeln und nach einer langen Operation zurücksetzten oder aber einen vorn im Maul gehakten Zander, der im flachen Wasser gefangen wurde, wieder schwimmen lassen.
Krasse Karpfen
Einzelne Fischarten reagieren sehr unterschiedlich auf Fang- und Zurücksetzstress. Im Schnitt über alle publizierten Studien zeigen sich Barschartige, speziell Zander, am verwundbarsten. Sie weisen eine durchschnittliche Sterblichkeit von 24,6 Prozent auf. Forellenartige haben den Ruf, empfindlich zu sein. Ihre Sterblichkeit liegt durchschnittlich aber bei nur 15,5 Prozent. Bei Hechartigen stirbt im Schnitt jeder zehnte zurückgesetzte Fisch (9,6 Prozent). Gerade große Cypriniden (Karpfen, Schleien) sind mit einer Sterblichkeit nach dem Zurücksetzen von im Schnitt 5,7 Prozent sehr robust.
Gute Studien zu heimischen Weißfischen (Ausnahme eine Brassenstudie) oder Felchen (bzw. Renken), sind sehr rar, oder fehlen gänzlich. Es dürfte jedoch gerade im Sommer bei Lauben, Rotaugen, und (kleinen) Brassen zu relevanten Sterblichkeiten nach dem Zurücksetzen kommen. Die meisten Studien zum Zander liegen zum amerikanischen Zander (Walleye) und nicht zum heimischen Zander vor. Wir können wegen der großen Ähnlichkeit aber davon ausgehen, dass sie ähnlich reagieren dürften (durchschnittliche Sterblichkeit von 18,6 Prozent). Auch Studien zum Wels fehlen bisher. Praxiserfahrungen aus der Aquakultur und einiger bislang noch unveröffentlichter Studien zeigen, dass die Haksterblichkeit von Welsen sehr gering (nahe null Prozent) ausfallen dürfte. Diese Wissenslücken zeigen deutlich, dass hier noch reichlich Forschungsbedarf besteht.
Beobachtungen im Feld
Diese Durchschnittswerte sollen aber nicht die enorme Schwankung zwischen einzelnen Arten und zwischen verschiedenen Umweltbedingungen überdecken. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fisch stirbt, ist abhängig davon, wie man mit ihm umgeht. Auch die Untersuchungsbedingungen sind von großer Bedeutung. Viele Studien stammen aus dem Labor oder Beobachtungen von Gehegen. Bei einem sorgsamen Umgang mit dem Fisch und unter der Voraussetzung günstiger, natürlicher Umweltbedingungen können in vielen Fällen Sterblichkeitsraten von nahe null Prozent erwartet werden.
Ein Grundproblem vieler Haksterblichkeitsstudien ist die Schwierigkeit der Beobachtung der Fische nach dem Zurücksetzen im Vergleich zu geeigneten Kontrollen. Auch muss die Beobachtung lange genug erfolgen, um die sogenannte verzögerte Sterblichkeit erfassen zu können (die wenigsten Fische sterben unmittelbar nach dem Zurücksetzen). Methodisch am besten geeignet sind Untersuchungen mithilfe eingepflanzter Sender und späterer Fischortung nach dem Zurücksetzen.
Mittels solcher Verfahren zeigten wir (2009), dass bis auf die Hakwunde unverletzte Hechte zu 100 Prozent überleben. Rapp und Mitarbeiter (2014) wiesen ebenfalls über die Fischortung nach, dass die Zurücksetzsterblichkeit bei Karpfen null Prozent beträgt, selbst wenn die Fische bis zu neun (!) Stunden in Karpfensäcken gehältert werden. Lennox et al. (2017) zeigen auf, dass 93 Prozent einmal gefangener und mit einem Sender ausgestatteter atlantische Lachse den Zurücksetzvorgang überleben.
Und Ferter et al. (2015a) weisen eine 100-prozentige Überlebensrate an georteten Dorschen in Norwegen nach. Wenn die Dorsche allerdings aus sehr großen Tiefen gepumpt werden und die Wassertemperatur hoch ist (Weltersbach & Strehlow 2013), dann weisen auch Dorsche hohe Zurücksetzsterblichkeiten von bis zu 50 Prozent auf (Ferter et al. 2015b). Diese hohen Werte traten in der Studie von Ferter et al. (2015b) aber nur auf, wenn die Fische zur Beobachtung in oberflächennah angebrachten Netzgehegen gesetzt wurden. Wenn die Tiere nach dem Fang rasch wieder in die Tiefe abschwimmen können, reduzierte sich die Haksterblichkeit auf sehr geringe Werte nahe null Prozent – auch wenn die Dorsche zuvor aus großer Tiefe gepumpt werden. Diese Ergebnisse zeigen, dass man bei der Einschätzung der Haksterblichkeiten auch immer die Studienbedingungen beachten muss.
Was wir tun können
Der Verletzungsgrad hängt sowohl vom Fanggerät als auch vom Handling nach der Landung und der Fangtiefe (Stichwort Barotrauma, bzw. Trommelsucht) ab. Fanggeräte (Haken, Köder), die dazu führen, dass der Haken weit vorne sitzt, eine rasche Handhabung durch Minimierung von Schleimhautverletzungen und der Zeit, die der Fisch außerhalb des Wassers verbringt (= Luftexposition), sowie auch das Fangen aus geringen Wassertiefen minimieren die Verletzungen. Verwendet Kescher mit gummierten Netzen oder landet den Fisch per Hand und hakt ihn im Wasser ab – das steigert die Überlebensrate. Bei Barschartigen steigt schon ab einer Fangtiefe von mehr als zehn Metern die Zurücksetzsterblichkeit sprunghaft an, egal, ob der Fisch wegschwimmt oder nicht. Das haben Studien an amerikanischen Zandern eindrucksvoll belegt.
Die körperliche Belastung hängt an zwei Faktoren – der Drillzeit und den sonstigen Umweltbedingungen. Belegt ist, dass kürzere Drills sowie die Vermeidung der Luftexposition diese Belastung reduzieren. Wichtiger ist jedoch die Wassertemperatur und der Sauerstoffgehalt. Bei den meisten Arten sind hohe Temperaturen für die Fische belastender und die Haksterblichkeit steigt. So erhöhte sich in einer Studie die Haksterblichkeit von Regenbogenforellen von 0 auf 8,6 Prozent bei einem Anstieg der Wassertemperatur von 8,3 auf 16,1 Grad Celsius. Auch bei Lachsen und amerikanischen Zandern nahm die Sterblichkeit bei Werten über 18 Grad sprunghaft zu.
Für heimische Zander gibt es aber auch Erfahrungen aus der Fischzucht, wonach die Fische bei eher kühlerem Wasser unter 18 Grad sensibler reagieren als bei warmem Wasser. Zander und Karpfen sind Warmwasserfische, während Hechte und Salmoniden eher kälteliebend sind. Entsprechend unterschiedlich reagieren unterschiedliche Arten auf die Wassertemperatur. Warmwasserfische werden bei kaltem Wasser stärker beansprucht, Kaltwasserfische bei warmem.
Fische sind nach dem Drill und dem Zurücksetzen erst einmal ausgepowert und nicht so gut in der Lage, Räubern auszuweichen. Ein letzter Faktor, der das Überleben bestimmt, ist daher die Anwesenheit von Räubern. Gerade in der tropischen marinen Angelfischerei gibt es Haie, die sich darauf spezialisieren, einmal zurückgesetzte, geschwächte Bonefische in großer Anzahl zu fressen. Ähnliche Spezialisierungen sind für Robben in der kanadischen Trolling-Fischerei auf Salmoniden bekannt. Ob sich Kormorane oder Hechte auf zurückgesetzte Weißfische spezialisieren, ist mir nicht bekannt, aber durchaus denkbar.
Und wenn das alles nicht reicht, so hängt die Verwundbarkeit von Fischen auch von ihrer Herkunft ab. Beispielsweise würde man erwarten, dass es für den Fisch besser ist, mit feuchten Händen und nicht mit einem trockenen Tuch abgehakt zu werden, weil so die Verletzung der Schleimhaut reduziert wird. Schwabe und Mitarbeiter (2014) wiesen kürzlich an untermaßigen Forellen nach, dass keine einzige starb, auch wenn die Fische mit trockenen Tüchern angefasst wurden. Wer genauer in die Studie schaut, sieht jedoch, dass Zuchtregenbogenforellen verwendet wurden. Diese sind über Selektion und wiederholtes Handling aber besonders robust gegenüber Handling und Zurücksetzen. Mit Sicherheit würde das Ergebnis bei Wildforellen anders aussehen.
Haksterblichkeit Fazit
Ein ganzes Bündel komplexer Faktoren wirkt auf die Haksterblichkeit ein. Viele dieser Faktoren können durch geeignete Gerätewahl und das Verhalten adressiert und minimiert werden. Der Fisch muss verletzungsfrei gefangen und danach sehr schonend behandelt werden, also sehr rasch wieder zurück ins Wasser gelangen oder am besten gar nicht aus dem Wasser genommen werden. Seine Überlebenschance verringert sich aber nicht nur durch einen langen Aufenthalt an der Luft, sondern auch durch tiefes Schlucken, lange Drillzeiten, das Drillen aus großer Tiefe, unnötige Hälterung in ungünstigen Behältnissen, Verletzungen lebenswichtiger Organe oder der Schleimhaut, zum Beispiel beim Abhaken.
Allerdings gibt es durchaus noch relevante Wissenslücken für einige Artengruppen wie die Weißfische, Zander und Felchen. Nichtsdestotrotz kann festgestellt werden, dass bei dem richtigen Umgang mit dem Fisch die Wahrscheinlichkeit zu überleben sehr hoch ist und das Zurücksetzen – sei es bei Untermaßigen oder freillig motiviert – eine wichtige fischbestandserhaltende Maßnahme darstellt. Allerdings ist das Zurücksetzen nicht folgenlos für den Fisch. Denn selbst wenn der Fisch nicht stirbt, zeigen viele Studien Verhaltensänderungen, physiologische Reaktionen und andere, nicht tödliche Wirkungen, die sich auf Reproduktionsleistung und Wachstum auswirken können.