Flussbarsch: Der Familienräuber im Überblick

Barsche sind faszinierende, aber auch familiäre Fische. Arno van ’t Hoog und Johannes Radtke haben das spannende Verhalten der Gestreiften genauer untersucht.

ein Schwarm Flussbarsche unter Wasser

Bild: Wolfgang Poelzer

Ein Trupp Barsche verhält sich wie eine Spezialeinheit – nur etwas familiärer. Sie schützen sich gegen- seitig und gehen gemeinsam auf die Jagd.

Der Barsch ist ein außerordentlich sozialer Fisch. Am einfachsten kann man das im Vergleich mit dem Hecht deutlich machen: Auf jeden Hecht eines Gewässers kommen in der Regel fünfzig bis zweihundert Barsche. Meister Esox lebt grundsätzlich allein, er sucht nur während der Laichzeit seine Artgenossen auf. Ansonsten ist er meist von ihnen gestresst. Barsche dagegen leben in jungen Jahren in großen Schwärmen, die mit zunehmendem Alter in kleinere Gruppen zerfallen. Auch Dir ist das sicher schon aufgefallen, zum Beispiel wenn der Kunstköder von mehreren Barschen gleichzeitig verfolgt wird.

Persönlichkeiten

Für Biologen ist der Barsch in den letzten Jahren zu einer sehr interessanten Fischart geworden, um Sozialverhalten zu untersuchen. Es ist erstaunlich zu sehen, dass zwischen einzelnen Schwärmen durchaus deutliche Unterschiede bestehen können. Einige Barschgruppen sind brutaler und nehmen mehr Risiken bei der Nahrungssuche in Kauf. Andere Trupps sind vorsichtiger. Aber auch innerhalb der Schwärme sind Unterschiede zu beobachten. Auch dort gibt es einzelne Exemplare, die wagemutiger sind, und vorsichtigere Fische.

Alle Barsche sehen, abgesehen von ihrer Länge, ungefähr gleich aus. Allerdings kann sich ihr Körperbau in Abhängigkeit von äußeren Einflüssen schnell ändern. Ihre Umgebung, ihr Futter und die Anwesenheit von anderen Räubern rufen teils deutliche Veränderungen ihres Körpers hervor. Dies wirkt sich vor allem bei jungen, schnell wachsenden Barschen stärker aus. So variiert zum Beispiel die Länge des Darmkanals abhängig davon, mit welcher Leichtigkeit Beute verdaut werden kann.

Alte Barsche streifen oft einsam umher. Krebse sind daher eine ideale Beute für sie.

Alte Barsche streifen oft einsam umher. Krebse sind daher eine ideale Beute für sie.

Reaktion auf Räuber

Flussbarsche sind schlauer als man glaubt! Sie lernen aus Erfahrungen, zum Beispiel aus Konfrontationen mit Hechten. Auf die Anwesenheit von Hechten reagieren sie mit dem Aufstellen ihrer Rückenflosse und verminderter Schwimmaktivität. Außerdem passen sie ihren Körperbau an. Sie entwickeln nach ein paar Wochen einen deutlich höheren Rücken, verglichen mit Barschen in nahezu „hechtfreien“ Gewässern. Hintergrund: Schlanke Barsche werden schneller geschluckt als Exemplare mit hohem Rücken. Die Reaktionen auf drohende Gefahr sind am heftigsten, wenn der Barsch visuellen Kontakt zum Fressfeind hat. Er ist allerdings auch in der Lage, den Hecht über andere Sinne wahrzunehmen. Hechte sondern im Wasser Geruchsspuren ab; von sich selbst und der Beute, die sie gefressen haben. Vor allem wenn Meister Esox einen Barsch gefressen hat, hinterlässt er eine Spur, die zu einer Schreckreaktion führt – ähnlich, als hätten die Barsche den Hecht gesehen. Das versetzt den Barsch in die Lage, eine Einschätzung vorzunehmen, ob Räuber in seiner Nähe sind, auch wenn er den Hecht nicht sieht.

Special Forces

Gerade bei direktem Feindkontakt sind die Familienmitglieder für den einzelnen Barsch wirklich wichtig. Ein Trupp bildet eine Art Spezialeinheit. Sie versammeln sich und schützen sich gegenseitig, wenn sich ein Hecht nähert. Es wird dadurch für den Esox schwer, sich ein einzelnes Opfer aus dem nervös herumschwimmenden Schwarm auszusuchen.

Verlassen die Barsche ihre Defensivposition und setzen zum Angriff auf einen Weißfischschwarm über, verfolgen sie eine genaue Taktik. Ein einzelner Barsch ruft durch auffälliges Verhalten seine Kamera- den zu Hilfe, wenn er eine potenzielle Beute ausgemacht hat. Der schnellste aus dem Trupp übernimmt die direkte Verfolgung, während der Rest in knappem Abstand hinter ihm schwimmt. Barsche müssen ihre Beute am Kopf packen, um sie zu schlucken, weil sie keine Haltezähne besitzen. Also muss das Rotauge bei der Verfolgung überholt und von vorn gepackt werden, das schafft allerdings kaum ein Barsch bei einem gesunden Rotauge – er ist schlicht zu langsam. Schwimmt der erste Verfolger auf Höhe seines Opfers, dreht das Rotauge aus reinem Selbsterhaltungsreflex nach hinten ab und schwimmt frontal in den Rest der Barsch-Einheit.

Beute für den Flussbarsch im Jahreszeiten-Vergleich.

Bild: Jacobsen et al. (2002), Freshwater Biology 47

Ab Juli wird die heranwachsende Fischbrut immer wichtiger für den Barsch. Wirbellose (Krebse, Würmer usw.) sind früher im Jahr verfügbarer. Aus Jacobsen et al. (2002), Freshwater Biology 47

Wachstums-Booster

Wenn Flussbarsche Krebse fressen, zeigen sie interessanterweise ein anderes Verhalten. Sie verlassen nun gern mal die Gruppe und streifen auf der Suche nach Scherenträgern abseits der Mitesser über Steinfelder. Der Grund: einen Krebs erledigt ein mittelprächtiger Flussbarsch problemlos im Alleingang. Dass Barsche so erfolgreiche Jäger von Krebsen, Garnelen und anderen Wirbellosen sind, erklärt auch, warum die Räuber in Gewässern mit besonders viel dieser Nicht-Fisch-Nahrung besonders prächtig abwachsen. Die einzelgängerische Lebensweise besonders alter Barsche passt einfach besser zu dieser Art Nahrung, als zu Fisch als Hauptbeute, die kooperatives Jagen erfordern würde. Gute Beispielgewässer für das Dickbarsch-Phänomen sind Brackwasserreviere mit ihren Massen an Würmern und Garnelen, sowie klare Naturseen mit gutem Edelkrebs-Aufkommen. Folgerichtig fängt der Angler in Gewässern mit gutem Krebsbestand häufiger Einzelgänger, während es bei aktiv nach Fischen jagenden Tieren selten bei einem einzelnen Räuber bleiben wird.

Fressrausch im September

Im Spätsommer vergessen vor allem größere weibliche Barsche ihre soziale Ader und werden kurzzeitig egoistisch. Sie fressen dann, was das Zeug hält, schnappen den Männern jede Beute vor der Nase weg und agieren aggressiver. Das ist vor allem eine Folge des veränderten Nährstoffbedarfs. Die Barschweibchen sind wegen des bevorstehenden Winters damit beschäftigt, einen großen Vorrat an Rogen für das nächste Frühjahr auszubilden. Die Eier benötigen Eiweiß und Fett – alles in allem eine nach Nährstoffen gierende Beschäftigung. Die Fresslust äußert sich somit in regelrechter Gier, wobei vor allem die Weibchen die angebotenen Köder schnappen und die Männchen oft das Nachsehen haben. Da passt es den dicken Weibchen ganz gut, dass die Fischbrut aus dem Frühjahr nun eine ideale Opfer-Größe hat: noch leicht zu fangen, aber schon sehr nährreich.

Fänge je Stunde pro Angler im Herbst.

Bild: Heermann et al. (2013), Fisheries Management and Ecology

Die Grafik zeigt einen deutlichen Ausschlag der Anglerfänge im Spätsommer.

 

Barschweibchen brauchen Nährstoffe ohne Ende

Im September schnellen die Anglerfänge rasant nach oben. Diesem Phänomen liegen zwei Dinge zugrunde: vermehrte Fressaktivität im Spätsommer und Zunahme der durchschnittlichen Barschbeute im selben Zeitraum.Im Herbst bilden Barsche ihre Fortpflanzungsprodukte, also die Milch und die Rogen, aus. Dafür benötigen sie eine Menge Energie in Form von Nahrung. Vor allem Barschweibchen brauchen viele Nährstoffe für die Ausbildung der großen Rogenstränge, sie legen da- her ihre Vorsicht ab und sind leicht zu fangen. In etwa zur gleichen Zeit erreichen die Brutfische des aktuellen Jahres eine anglerfreundliche Größe, also eine Länge, die unsere gängigen Ködergröße von etwa fünf bis acht Zentimetern entspricht. Im Juni oder Juli ist die Beute der Barsche noch deutlich kleiner– die Fische fressen zwar, haben sich aberauf die Mini-Fischchen eingeschossen und ig- norieren größere Wobbler oder Gummifische. Erst später ist die Brut so weit abgewachsen, dass der fünf Zentimeter lange Kunstköderin das Beuteschema der Barsche fällt. Die Grafik zeigt: Naturköderangler fangen grundsätzlich mehr Barsch als Spinnfischer. Naturköder in Form von Würmern stellen früh im Sommer die häufige Barschbeute gut dar.

Flussbarsch-Kannibalismus

Flussbarsche sind also echt familiär unterwegs. Doch diese soziale Eigenart hat wahrlich ihre Grenzen – jüngere Familienmitglieder werden zwar auch gern gehabt, aber nur zum Fressen! Sobald die Barsche 25 Zentimeter erreichen und eine ausgeprägte Vorliebe für Fisch entwickeln, werden sie zu wahren Familienbestien und haben eine deutliche Vorliebe für Nestlinge, Neffen und Großkinder.

Abseits von jüngeren Geschwistern sind Barsche aber auch im engsten Kreis wirklich sozial. In einigen Schwärmen findet man vor allem Brüder und Schwestern. Barsche können Artgenossen auf Abstand riechen und anhand der Geruchsstoffe im Wasser ihre Familie erkennen.

Barsche entscheiden sich für die Familie

Wenn sie in einem Geruchsexperiment zwischen verwandten und nicht verwandten Artgenossen wählen dürfen, entscheiden sie sich für die nächste Familie, auch wenn sie die Fische noch nie vorher gesehen oder gerochen haben.

Die Geruchsvorliebe führt zur Isolation von einzelnen Schwärmen, da verwandte Fische im selben Gebiet zusammenbleiben und sie sich daher oft ausschließlich mit verwandten Artgenossen paaren. DNA-Untersuchungen unter Barschen im Bodensee in den Alpen zeigen, dass dort zwei unterschiedliche Gruppen entstanden sind, die sich aus diesem Grund sogar genetisch relativ deutlich voneinander unterscheiden.

Dieser Artikel erschien im Blinker 09/2018. Weitere spannende Artikel, Reportagen und Praxistipps gibt es täglich auf Blinker.de und monatlich im Heft.

 


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