Der Goonch

Wie aus einer anderen Welt wirkt der 166-pfündige Goonch von Arnout Terlouw. A. Terlouw

Sie kennen den Goonch nicht? Dann müssen Sie ihn unbedingt kennen lernen! Vielleicht nicht gleich persönlich, aber zumindest in diesem Beitrag unseres niederländischen Autors Arnout Terlouw.

Hoch über dem Fluss halten wir Ausschau. Das blaue Band des Ramganga windet sich durch sein enges Bett. An den letzten beiden Tagen haben wir hier den ersten ordentlichen Mahseer beobachtet. Jetzt liegen auf einmal zwanzig von ihnen seelenruhig vor einer Stromschnelle. Von unserer Position aus ist es schwierig, ihre Größe genau zu schätzen. Zwei von ihnen sind aber deutlich größer und gehören wohl schon in die 40-Pfund-Kategorie. Big sh, Sir, very big sh, betont mein Guide Kripal. Vorsichtig klettern wir die steile Böschung hinunter. Über das runde, glatte Flussgestein gelangen wir allmählich zum Ufer. Kripal wirft oberhalb der Stromschnelle einige Futterballen ein, die im Wasser schnell auseinander fallen. Gespannt schauen wir auf unsere Rutenspitzen. Unentwegt nippen kleine Fische an unseren Teigköder und lassen die Ruten leicht zucken. Was wir erwarten, ist aber ein knallharter Anbiss, und der sieht anders aus. Wir rätseln. Nehmen die Mahseer überhaupt Nahrung zu sich auf dem Weg zu ihren Laichplätzen, oder haben sie anderes als fressen im Sinn?

Große Fische in Sicht

So plötzlich wie die Fische aufgetaucht sind, sind sie wieder verschwunden. Vielleicht ziehen sie weiter ussaufwärts zum nächsten Pool. Also packe ich meine Sachen und wandere eine Stromschnelle weiter. Dann höre ich Rufe von der alten Eisenbrücke. Da stehen Jagdip und Sunny, die wild gestikulierend nach unten deuten. An einer achen Stelle der Stromschnelle wate ich durch den Fluss und schleiche mich vorsichtig zu einer Felswand vor, die steil ins Wasser abtaucht. Two big sh, rufen sie mir zu. Aus meiner Perspektive kann ich sie nicht ausmachen. Mir ist nicht klar, wo die Fische stehen, aber auf gut Glück werfe ich meinen Teigklumpen in Richtung Felswand. Die Stelle ist ausgesprochen tief. Hinter einem Felsblock warte ich gespannt. Nach zehn Minuten tickt es an meiner Rute, und dann biegt sich die Spitze entschieden nach unten. Ein Anhieb ist kaum erforderlich, schon stehe ich in festem Kontakt mit dem Fisch, der direkt stromabwärts üchtet. Der Pool ist kaum 100 Meter lang, gleich muss der Fisch die ache Stromschnelle erreichen. Schon macht er eine Kehrtwendung und rast ussaufwärts. So schnell ich auch kurbele, es gelingt mir nicht, Kontakt zum Fisch zu halten. Der zischt an mir vorbei, die Schnur schneidet durchs Wasser. Erst dicht vor der Stromschnelle kann ich ihn stoppen, und nun sitzt er auf einmal bombenfest. Big sh, big sh, höre ich es über mir rufen, aber das habe ich nun auch schon festgestellt. Über das rutschige Gestein stolpere ich zu der Stelle, wo meine Schnur festhängt und wate bis zum Bauch ins Wasser. Dann sehe ich zum ersten Mal auch den Fisch, der hinter einem Felsen festsitzt. 30 bis 40 Pfund ist mein erster Eindruck. Zum Glück kriege ich die Schnur wieder frei, und schon schießt der Fisch wieder stromabwärts davon. Wieder folge ich dem Fisch, so gut es eben geht. Der stellt sich jetzt im tiefen Wasser bei der Felswand ein. An einer sandigen Uferstrecke nde ich eine günstige Position, um den Fisch auszudrillen. Langsam aber sicher kommt er näher, und nach ein paar Minuten sehe ich mich einem prächtigen Himalaya-Mahseer gegenüber. Keine drei Meter von der Stelle entfernt, wo ich tief im Wasser stehe, bleibt er ganz ruhig liegen.

 

 

Für den Wallergriff ist solch ein Goonch-Maul nicht geeignet. A. Terlouw

Bild: Blinker

Für den Wallergriff ist solch ein Goonch-Maul nicht geeignet. A. Terlouw

Beifall von der Brücke

Die Bremse habe ich vorsichtshalber etwas gelockert, denn der Fisch kann jeden Moment noch einmal Kraftreserven mobilisieren. Ganz langsam bewege ich mich rückwärts, der Mahseer folgt mir dabei wie ein frommes Lamm. Inzwischen ist auch Kripal eingetroffen. Ich mahne ihn noch, vorsichtig zu sein, aber das war nicht nötig, der Fisch lässt sich jetzt ohne Widerstand aufs Ufer ziehen. Von der Brücke klatschen Jagdip und Sunny Beifall. Erst jetzt wird uns klar, wie groß der imposante Fisch überhaupt ist. Was für gewaltige Flossen er hat und Schuppen so groß wie Bierdeckel. Leider haben wir keine Waage dabei. Kripal ist aber überzeugt, dass dies einer der größten Fische ist, die hier in den letzten zehn Jahren gefangen wurden. Nach unseren Schätzungen wiegt der Fisch mindestens 45 Pfund, vielleicht auch 48 bis 50 Pfund. Ein paar Tage später wollen wir es weiter im Norden, am Fuße des Himalayas auf Mahseer versuchen. Aber ein anderer Fisch interessierte uns noch mehr, eine bislang kaum bekannte Welsart, der Goonch (lat. Bagarius yarrelli), der in Indien auch als Süßwasserhai bezeichnet wird. Das Angeln auf Mahseer ist gelinde ausgedrückt sehr mühsam. In dem extrem niedrigen und klaren Wasser sind die wenigen Fische, die wir sehen, nicht sonderlich interessiert an unseren Kunstködern, Köderschen und Teigballen. Zwar fange ich jeden Tag mindestens einen Mahseer, aber hauptsächlich kleinere Fische von 16 bis 18 Pfund. Spinner und Blinker werden völlig ignoriert, nur Ködersche und Teig führen gelegentlich zum Erfolg. Ein kleiner Ködersch, der für einen Mahseer bestimmt war, führt dann auch zu der ersten Begegnung mit einem Goonch. Mit seinen 15 Pfund nicht gerade ein Monster, aber immerhin kann ich mir solch einen Süßwasserhai einmal aus der Nähe betrachten. Bemerkenswert erscheinen vor allem seine gewaltigen Zähne. Den Wallergriff kann man da getrost vergessen. Aber nicht nur die Zähne, auch die dicken, eischigen Barteln und die ügelartigen Flossen verleihen diesem Fisch etwas Bizarres.

80 Kilometer weiter

Was ich auch versuche, an den nächsten Tagen kann ich keinen weiteren Goonch mehr fangen. Auch an die großen Mahseer ist nicht mehr heranzukommen. Da bringt auch ein Trip 80 Kilometer ussaufwärts zunächst keine Besserung. Dann sehe ich aber in einem Pool deutlich größere Fische. Eine Stunde lang versuche ich es mit großen Spinnern und kann auch gleich drei Mahseer landen. Leider keinen der schweren Brocken, die ganz sicher in Richtung 60 Pfund tendieren. Für die letzten Angeltage fahre ich wieder ussabwärts zu der Stelle, wo ich zu Beginn meiner Reise am besten gefangen habe. Ich bereite zwei Ruten zum Angeln mit Ködersch vor. Die eine lege ich mit einem kleinen Fisch aus, die andere mit einem 35 Zentimeter langen toten Mahseer, in der Hoffnung, damit einen Goonch verlocken zu können. Dafür bräuchte ich kein Stahlvorfach, meint Kripal. Ein leichtsinniger Rat, wie sich noch zeigen sollte. Als ich den kleinen Ködersch einwerfe, wird er, noch ehe das Blei den Boden berührt, von einem Goonch gepackt. Dieses Mal ist es zweifellos ein größerer von rund 40 Pfund. Weil sich die Schnur in einer der Brustossen verfangen hat, zögert Kripal, den Fisch zu greifen. Dreimal liegt der Goonch auf der Seite bereit zur Landung. Aber jedesmal, wenn Kripal ihn an der Schwanzwurzel packen will, ergreift er wieder die Flucht. Und dann geschieht das Unvermeidliche: Das 50er Vorfach scheuert durch. Weg ist der Goonch. Das passiert mir nicht noch einmal!

 

Goonch-Fischen ist eine Mischung aus Angeln und Bergsteigen A. Terlouw

Goonch-Fischen ist eine Mischung aus Angeln und Bergsteigen A. Terlouw

Ein knallharter Biss

Am nächsten Tag suche ich mir wieder einen tiefen Pool hinter einer Stromschnelle. Eine Rute lege ich mit einem toten Ködersch aus, die andere setze ich alle zehn Minuten um. Der Boden ist eigentlich sehr eben, aber nach dem dritten Umsetzen hänge ich doch fest. Nach einigem Gezerre bekomme ich den Ködersch wieder frei, und genau in dem Moment, als er wieder den Boden erreicht, spüre ich einen knallharten Anbiss. Zuerst denke ich an einen Mahseer, aber der Fisch bleibt nach seiner Flucht immer am Boden. Es muss ein Goonch sein, und zwar ein richtig guter. Meine 11 Fuß-Rute biegt sich bis zum Griff. Ich rufe nach Kripal, aber der versucht 200 Meter weiter ussaufwärts, Ködersche zu fangen und hört nichts. Vor mir liegen einige große Felsbrocken im Wasser, und genau die steuert der Fisch unaufhaltsam an. Es musste ja so kommen: Der Fisch sitzt kurze Zeit später fest, kaum 10 Meter von mir entfernt. Mir bleibt gar keine andere Wahl, ich muss ins Wasser. Mit der Rute in der Hand lasse ich mich mit der Strömung abtreiben, vorbei an der Stelle, wo die Schnur festhängt. Ein Ruck, und ich habe wieder Kontakt mit dem Fisch. Dafür habe ich den Kontakt zum Boden verloren. Während der Goonch erneut die Flucht ergreift, versuche ich krampfhaft, das Ufer zu erreichen. Als mir das endlich gelungen ist, sitzt der Fisch wieder fest. Ich versuche alles, aber er bewegt sich nicht. Mit äußerster Kraftanstrengung gelingt es mir, eine schwere Masse ein paar Zentimeter anzuheben, danach sackt sie sofort wieder herunter. Dieser Vorgang wiederholt sich noch ein paar Mal. Gerade habe ich beschlossen, wieder ins Wasser zu steigen, da fühle ich einen mächtigen Schlag in der Rute, und der Goonch jagt wieder davon. Die Prozedur geht wieder von vorne los. Mühsam versuche ich, ihn vom Boden zu lösen. Die gewonnenen Zentimeter holt er sich wieder zurück. Nach einer halben Stunde habe ich ihn dann doch herangekämpft. Tief unter der Rutenspitze dreht er seine Runden. Einige Zeit vergeht, dann sehe ich zum ersten Mal seinen Furcht erregenden Schädel. Was für ein Vieh! Ich setze alles daran, den Fisch in Bewegung zu halten. Aber er drückt wieder seinen Kampfstil durch und lässt sich wie ein Sandsack auf den Boden fallen. Langsam wird mir mulmig, und ich schreie mit aller Kraft nach Kripal. Endlich hört er mich und kommt mir zu Hilfe geeilt.

Wie Tarzan

Allmählich wird mein Gegner müde. Mit aller Macht kann ich seinen Kopf nach oben zerren und schließlich gelingt es, ihn auf der Seite halb aufs Ufer zu ziehen. Was nun? Kripal weiß auch nicht, wie es jetzt weitergehen soll und traut sich nicht, den Goonch anzufassen. Also gibts nur eins: Ich löse die Bremse etwas und gebe Kripal die Rute. Vorsichtig nähere ich mich dem Monster von hinten und springe wie Tarzan auf seinen Rücken und packe seine Brustossen. Nur nicht in die Nähe seiner fürchterlichen Zähne kommen! Es gelingt mir, den Goonch ein Stück weiter aufs Land zu ziehen. Geschafft! Vor uns liegt ein unwirkliches schwarzes Monster, das geradewegs einem Horrorlm entstiegen zu sein scheint. Das breitrückige Untier hat eine Garnitur Zähne, dass einem Angst und Bange wird. Inzwischen hat sich das halbe Dorf um den Fisch versammelt. Die meisten bleiben respektvoll auf Distanz. Nur ein Waghalsiger will einmal die schwarze lederartige Haut berühren. Mein Maßband zeigt 166 Zentimeter an. Das Gewicht schätze ich auf 110120 Pfund. Kripal ist überzeugt, dass der Fisch mehr wiegt. Plausibel, wenn man bedenkt, dass Kripal selber kaum 120 Pfund wiegt. Damit war mein Indien-Abenteuer noch nicht zu Ende. Am nächsten Tag konnte ich sogar noch einen etwas größeren Goonch von 168 Zentimeter landen. Mit einer kürzeren und stärkeren Glasfaser-Rute und einer 50 lb-Schnur hatte ich den Drill dieses Mal besser unter Kontrolle. Ich konnte den Fisch die meiste Zeit in Bewegung halten. Allerdings musste ich doch auch wieder baden gehen. Und ich musste den Goonch auch wieder selber an Land ziehen.

Zwei Giganten

Der Goonch (lat. Bagarius yarrelli), auch giant bagarius genannt, hat seine Heimat im Ganges und Indus in Nordindien. Er kommt auch in Thailand und Laos vor, wo er aber nur bis zu 40 Pfund schwer wird. Der Räuber lauert vor allem in den turbulenten Wassern hinter Stromschnellen auf Beute. Einen großen Teil des Tages verbringt er allerdings in den tiefen Pools. 1875 wurde im Jumna ein Goonch von 170 Zentimeter und einem Gewicht von 124 Pfund gefangen. Es kursieren aber Geschichten von noch größeren Exemplaren. Der Himalaya-Mahseer (lat. Barbus tor putitora) oder Golden Mahseer wird fälschlich für kleiner gehalten als der Mahseer aus dem Süden. Er erreicht aber auch Gewichte von über 100 Pfund. Die Bestände wurden lange überscht und beginnen erst in den letzten Jahren, sich zu erholen. Die Flüsse Ganges und Brahmaputra mit Nebenüssen wie Sarji, Ramganga, Kali, Bhoroli und Manas haben heute einen guten Bestand großer Mahseer. Die beste Fangzeit ist im Norden Indiens, wenn die Fische zu den Laichgründen die Flüsse hinaufziehen, also von Februar bis Anfang Mai. Eine gute Zeit ist auch, wenn die Flüsse im Oktober/November nach den Monsunregen aufklaren.

INFORMATION

Der Autor reiste mit dem holländischen Veranstalter:

Tight Lines Visreizen, Fazant 131,

NL-2986 CM Ridderkerk,

Tel.: 0031-(0)180-434788, www.tightlines.nl

E-Mail: info@tight­lines.nl


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