Meinem jüngeren Bruder Thomas hatte im Februar, einen Tag nach seinem 12 Geburtstag, die Gemeindeverwaltung endlich den Jugendfischereischein ausgestellt. Offiziell hätte er vorher nach damals geltendem bayerischen Recht am Wasser eine Rute nicht mal anfassen dürfen…
Sein erster Jahreserlaubnisschein wurde aus meinen Wehrsold, seine erste Rute samt Zubehör zu Weihnachten und Geburtstag zusammen von Mama und Papa spendiert (entsprechend der knappen Haushaltskasse einer kinderreichen Familie).
Von diesem denkwürdigen Tag an suchten wir die Vereinsgewässer bei jeder Gelegenheit wie Siamesische Zwillinge heim.
Inzwischen war der Sommer ins Land gezogen. Eine Regenperiode unterbrach die Getreideernte auf dem elterlichen Hof. Kein Gedanke ans Weiterarbeiten, bevor nicht die Sonne die Feuchtigkeit vertrieben hatte.
Unsere Chance nach längerer Zeit wieder ans Wasser zu kommen!
Am Nachmittag schaffte ich es schon nach 1 Überstunde mich abzuseilen. In der Schulmöbelfabrik wird während der Sommerferien jedes Jahr Akkord gearbeitet. Das passte mir als Ferienjobler eigentlich ganz gut. Irgendwo musste das Geld für das Studium im Herbst ja herkommen. Außerdem war die Arbeit leichter als daheim Heu- und Strohballen einzufahren. Aber die Fischerei geht vor.
Das Angelzeug hatte ich schon am frühen Morgen gepackt. Schnell nachhause, Thomas einsammeln, Rucksack aufschnallen, und mit den Fahrrädern durch den Regen die 7 Kilometer zu den Teichen. Abends konnten wir normalerweise das Familienauto nutzen, an dem Tag war mein Vater (im Nebenberuf Metzger) aber zu einer Notschlachtung gerufen worden.
Plastikregenanzüge auf dem Fahrrad sind, zumindest wenn man es eilig hat, ein eigenwilliges Konzept: Man ist vor der Nässe von außen geschützt, gart aber im eigenen Dampf. Dieses Prinzip war uns wohlbekannt. Nach einer neuen Rekordzeit zum Wasser zogen wir im Regenschatten eines Baumes die obligatorischen Ersatz-T-Shirts aus den Rucksäcken über (oder vielmehr unter).
Die Gewittergüsse der letzten beiden Tage hatten den oberen Teich zum Überlaufen gebracht. Deshalb legten wir zuerst Hand an die Abläufe und entfernten die Verstopfung aus Zweigen und Blättern. Dann stampften wir durch die Lachen über den Deich zwischen den Teichen zu unserm liebsten Angelplatz.
Die alte überhängende Weide am nördlichen Ufer des unteren Teichs hatte uns dieses Jahr manchen schönen Fang geschenkt. Im Winter waren einige ihrer Stämme gebrochen und in das Wasser gestürzt. Ein idealer Tummelplatz für alle Fische.
Das Fischen mit der Schwingspitze hatte ich Jahre vorher 2 älteren Vereinskameraden abgeschaut. Zuerst waren meine selbst gebastelten Ventilschlauch-Spitzen mittels Angelschnur an die Rutenspitze gebunden. Nach jedem 10ten Wurf oder so flogen sie samt der Montage ins Wasser, oder die Schnur verhakte sich oder… Nach einiger Zeit stand der Entschluss zu einer größeren Investition: Ein Spitzenring mit Einschrauber für meine Telerute und die passende Schwingspitze mussten her. Mit großen Augen sah ich dem Händler zu, wie er den Spitzenring einfach durch Erwärmen mit dem Feuerzeug löste und austauschte. Vorher waren in mir Horrorvorstellungen vom Absägen oder gar Abbrechen der Spitze aufgestiegen, vom Austausch des Spitzenteils und der damit verbundenen Kosten…
Die Rute meines Bruders war daraufhin selbstverständlich schon beim Kauf mit dem passenden Ring versehen worden.
Das Eintreffen am Angelplatz hatten wir perfektioniert:
Den Rucksack noch im Gehen abgenommen und die 2 Rutenhalter (Eigenbau versteht sich) herausgezogen. Nach dem Positionieren der Ablagen die fertig montierten Teleruten ausziehen, die Futterkörbe mit eingeweichtem Milchleistungsfutter für Kühe (Ursprung natürlich der väterliche Silo) aus der Plastiktüte im Seitenfach des Rucksacks gefüllt, dann die Ruten ausgeworfen und abgelegt.
Erst jetzt war Zeit den Kescher zu entfalten, sich mit Klapphocker (nur bei Regen, sonst überflüssiges Gepäck auf dem Fahrrad) häuslich einzurichten usw.
Merke: Nur ein Köder im Wasser fängt den Fisch ;-). So waren wir damals.
Thomas war immer konzentrierter bei der Sache als ich. Mir hat es ziemlich gestunken, dass der Jungfuchs bei den Fangergebnissen durchaus mithalten konnte. Meinen Blick sinnend auf ihn gerichtet „Hoffentlich macht er mich heute nicht wieder nass!“ (Ob das weibliche Geschlecht evtl. Einfluss auf die Unterscheide in der Konzentrationsfähigkeit hatte?) bemerkte ich Leben in seiner Schwingspitze.
2 kurze Zupfer, dann hebt sich die Spitze langsam. Der Anhieb sitzt perfekt. Mein Bruder…
…Thomas ist weg.
Ich hielt mir den Bauch vor Lachen. Hätte mein Bruder nicht selbst den Weg zurück ans Ufer gefunden, ich glaube er wäre ersoffen.
Beim schwungvollen Anhieb war die durchgeweichte Kante des nur knapp 1m breiten Deichs unter dem Hocker eingebrochen. Thomas sprang reflexartig auf, befand sich aber schon zu weit in der Schieflage, und zauberte deshalb einen 1/2 Salto rückwärts in den oberen Teich.
Nach ein paar Flüchen in meine Richtung und dem Einholen des pfündigen Giebels am anderen Ende der Leine fischte ich seinen Hocker mit dem Kescher aus dem Wasser. Hart in nehmen fing er noch ein paar Fische (natürlich wieder mehr als ich), dann hat die abendliche Kälte über den durchgeweichten Thomas gesiegt und uns auf die Räder getrieben.
Ein gemeinsames Erlebnis, dass uns noch heute manches Treffen verkürzt.
Manfred