Der alte Kämpe

  • Keine 5 Zentimeter vom gegenüberliegenden Ufer trifft der 1er Mepps das Wasser. Ein kurzer harter Ruck der Rutenspitze setzt das Blatt in Aktion. Der Strömungsdruck auf der Schnur zieht den Spinner um den bemoosten Standsteinblock vor der alten Ufermauer. Schon vor Jahren hat die stete Arbeit von Wasser und Frost die Mauer gesprengt. Tiefe Ausspülungen zwischen den großen Steinen formen das Jagdrevier...
    Ruck...aus Reflex der Anhieb. Die Bremse kreischt auf. Schnell die Rute Richtung Fisch gebracht, den Winkel der Schnur verkleinern. Dem Fisch das Abziehen der 16er erleichtern, damit er diese nicht sprengt. Damit der Haken nicht ausschlitzt.
    Atemholen. Jetzt steht er in der Strömung. Macht kehrt. Die Rute hoch, schnell. Den Kontakt nicht verlieren, sonst schüttelt die Forelle den widerhakenlosen Köder ab. Golden blitzt ihre Flanke auf. Sie kommt den Bach herab. Kurbeln, was das Zeug hält, die Spannung halten. Im Eifer: Zu fest, sie springt! Die kurze Rute fliegt nach oben. Am ausgestreckten Arm federt sie weich das wütende Kopfschütteln der tanzenden Forelle ab.
    Der Fisch überschlägt sich in der Luft, 4 Pfund? Was für ein Brocken!, taucht ins Wasser, nimmt Tempo auf, weiter den Bach hinunter. Schnell die Rute Richtung Fisch. Die linke Hand von der Kurbel zur Bremse. Sicher ist sicher. Die Bremse lockern, einen solchen Fisch wegen zu hartem Drill zu verlieren...
    20 Meter, 25 Meter. Sie wird langsamer. Der Reigen der Bachforelle beginnt. Wild dreht sie sich im Wasser um die eigene Achse, wieder und wieder, versucht den Haken abzuschütteln. Ungewöhnlich für einen so großen Fisch. Das machen sonst nur die kleinen Bachforellen kurz bevor sie den Kampf aufgeben.
    Ich hebe die Rute und beginne Schnur einzuholen. Die Forelle dreht sich weiter auf der Stelle. Ich wage nicht, sie gegen die Strömung den Bach hochzupumpen, beginne deshalb ihr über die großen Steine stolpernd den Bach hinab zu folgen.
    Jetzt, sie kommt! Mir entgegen. Den Bach herauf. Schnell Schnur einholen. Spannung halten. Sie ist an mir vorbei. Hoffentlich springt sie nicht wieder, wenn sie in den Widerstand der Leine läuft. Glück! Sie nimmt wieder Schnur von der Rolle. Springt nicht, diesmal ist die Bremse weich genug. Forellen springen im Drill, wenn man sie zu hart herannimmt. Nichts ist gefährlicher als der Sprung. Leicht kann sie dann den bartlosen Haken abschütteln.
    Sie wird langsam müde, kommt wieder den Bach herunter. Als sie an mir vorbei ist bremse ich die Rolle zusätzlich mit dem Zeigefinger auf dem Spulenrand um den Drill nicht unnötig zu verschleppen. Ihre Kreise werden kleiner. Der Fisch legt sich auf die Seite, hat sich in sein Schicksal ergeben.
    Die Rute wechselt in die linke Hand. Die Rechte taucht zum Anfeuchten kurz ins Wasser und fasst mit geübtem Griff die Bachforelle hinter dem Kopf. Die Rute auf den Steinen abgelegt. Mit der Linken kann ich problemlos den kleinen Spinners aus dem Maul des Fisches lösen. Der Drilling ist längst durch einen Einzelhaken ersetzt.
    Nachdem der Fisch schonend gelöst ist, habe ich Zeit ihn mir genauer anzusehen. Erst jetzt fällt langsam die Anspannung von mir ab. Ich spüre mein Herz noch im Jagdfieber schlagen. Mein Mund steht offen. Die starre Konzentration meiner Züge löst sich, und ein Lächeln legt sich auf meine Lippen:
    Ja, das ist er! Der alte Kämpe. Der König dieses Bachreviers. Keine 4 Pfund. Gute 50cm, 3 Pfund wird er haben. Im Sprung überschätze ich die Fische jedesmal. Ein wunderschön gezeichneter Bachforellenmilchner. Von ausgeprägter Farbe, der gelbe Bauch, der braune Rücken. Leuchtend rote Tupfen mit weißer Umrahmung strahlen von seinen Flanken. Elegant gebaut, nicht fett wie die Mastforellen aus den Teichen der Fischzüchter. Noch deutlich geformt der Laichhaken am Unterkiefer. Die Schwanzflosse an der Unterseite vom lebenslangen Kampf gegen die Strömung am Gewässergrund abgenutzt, weißlich verdickt. Der Milchner ist noch immer gezeichnet vom harten Laichgeschäft im Winter, selbst jetzt im Mai. Aber er hat ja noch Monate Zeit um seine volle Kondition wieder aufzubauen, bis sich der Jahreskreis erneut schließt und er im eiskalten Winterbach die Eier seiner Partnerinnern befruchtet...
    Ganz klar ein Räuber, ein Kannibale, wie alle großen Bachforellen. Er wird sich regelmäßig seinen Tribut unter den jüngeren Artgenossen holen.
    Nach wenigen Augenblicken gewinnt der Fisch wieder an Leben. Er richtet sich auf. Ich hatte ihn nach kurzem Beschauen gleich wieder in sein Element gebracht. Er versucht meinen Händen zu entkommen. Noch halte ich ihn fest. Er soll sich erst etwas vom harten Drill erholen, bevor er zurück in die starke Strömung des Mittelgebirgsbaches stößt. Er wird sich erst orientieren müssen, bevor er seinen Einstand wieder findet. Ich möchte nicht, dass ihn die Strömung gegen einen Stein wirft, weil er noch zu schwach ist. Jetzt lasse ich ihn los. Mit wenigen eleganten Schlägen seiner Schwanzflosse ist er meinen Blicken entschwunden. Viel Glück! Und danke für das schöne Erlebnis! Von diesem Fisch brauche ich keine Fotos zu machen, ich werde ihn lange in meinem Gedächtnis tragen.
    Ich setzte mich auf einen Uferstein um den Augenblick zu genießen, im Schatten der Schwarzerlen die mir beim Anpirschen und Wurf als Deckung gedient haben. Das Plätschern des Baches im Zwielicht, das Rauschen des Windes in den Bäumen sind Balsam für die Seele.

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