Dafür war er bekannt im gesamten Verein:
Du sahst am Teich, mehr oder minder konzentriert den Schwimmer oder die Schwingspitze, meist jedoch irgendein anderes Wunder der Natur im Blick, und dann war er einfach da.
Er, der kugelrunde Geist. Manche behaupteten, sie hätten schon vorher einen Schatten in der Tiefe gesehen, der sich Richtung Oberfläche bewegte. Belege dafür gibt es nicht. Derartiges konnte ich nie beobachten. Ich bleibe dabei. Er war einfach da.
2 oder 3 Meter vor dem Ufer. 20 Pfund kugelförmiger Aischgründer. 2 runde Karpfenaugen fest auf dich gerichtet. Die einzig erkennbare Bewegung war ein leichtes Wedeln der Brustflossen. So stand er da. 5 Minuten. 10 Minuten. Manchmal noch länger. Dann lies er sich in die Tiefen sinken wie nur große Karpfen das können. Ohne eine Bewegung wurde er vom Bild zum Schatten und vom Schatten zum Nichts.
Manche (auch ich) versuchten ihn mit zugeworfenen Ködern zu locken. Keinen Blick hat er jemals darauf verschwendet. Die Augen immer starr auf sein Gegenüber gerichtet.
Andere versuchten ihn zu erschrecken. Anfangs mit einer schnellen Handbewegung. Keine Reaktion. Aufspringen und ein wilder Schrei konnten ihn schließlich dazu bewegen, sein Verschwinde-Kunststück auf Abruf auszuführen. Von Flucht oder gar Panik keine Spur.
Selbstverständlich hat der überhebliche Stolz dieses Menschwatching-Touristen unsere sensiblen Anglerseelen gekränkt. Schweres Geschütz wurde aufgefahren. Boilies aller Art, Hundefutter, Kartoffeln, Partikel, Würmer, Larven und Krebschen aus dem Teich, Freeline- und Selbsthakmontagen, Ghostline und Silkworm.
Anschleichen auf dem Bauch und lautloses Absenken des Köders, Geräuschkulissentarnung durch rauschende Anglerfeste…
Alles Mögliche zogen wir im Lauf der Zeit aus dem Teich. Von kleinen Brachsen über halbe Baumstämme zu goldglänzenden dicken Karpfen, ein altes Fahrrad. Aber nicht den kugelrunden Geist.
Mit irgendwas musste er seinen fetten Bauch doch füllen!
2 Jahre später war es endlich so weit:
Der Teich musste im Herbst wegen eines Bisamschadens am Damm zur Reparatur abgelassen werden. Jetzt würden wir den Geist in die Hand bekommen. Selbstverständlich sollte er umgesetzt werden. Eine Schandtat gegen sein Leben war undenkbar.
Noch die letzte Woche hatte er uns gefoppt. Ihm zu ehren waren wir alle am frühen Morgen versammelt. Lange bevor das Restwasser abgeflossen war. Jeder wollte ihn begaffen.
Wir wollten sehen, wie sein hoher Rücken aus den sinkenden Fluten auftaucht. Wir würden reinwaten und ihn mit Keschern fangen. Stolz unsere so lange ersehnte Beute in den Hälterbottich setzen.
Es ging gegen Mittag. Die Stimmung stieg. Die ersten Rücken großer Karpfen waren im verbliebenen Tümpel zu erkennen. Die Ungeduldigen stiegen in die Wathosen und kescherten die ersten Fische. Schöne Schuppis, dazu langgestreckte Spiegler vom fränkischen Zuchstamm. Ein paar Hechte.
Jetzt musste er kommen, die Pfütze wurde immer kleiner. Wir schöpften hauptsächlich kleinere Weißfische. Wo steckte er nur? Nichts zu sehen. Die verbliebenen Wasserlöcher am Teichgrund wurden abgesucht…
Er blieb verschwunden.
Ich sagte es ja: Er war einfach da, der kugelrunde Geist.