Zitat von Michael SzameitDabei gehe ich selbstverständlich davon aus, dass z.B. der Reverend sich durch Beschwerden über Glockenlärm nicht in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt fühlt
Während meiner Zeit als Pfarrvikar hatte, nachdem der Blitz in den Glockenturm eingeschlagen hatte, der Pfarramtsführer bei der Reparatur das Glockentableau so einstellen lassen, dass der Stundenschlag das letzte Mal um 22.00h und das erste Mal wieder um 6.00h einsetzte. Vorher schlug der Stundenschlag rund um die Uhr - wie üblich zu jeder Viertel-, halben, Dreiviertel- und vollen Stunde.
Um Mitternacht waren das dann 28 Schläge - erst viermal mit der hohen, dann 12 mal mit der mittleren und schließlich 12mal mit der großen Glocke. Und der Pfarrer wohnte am nächsten zur Kirche und hörte es am Lautesten. Nun also machten die Glocken Nachtruhe.
Lange gab es keinerlei Reaktion auf die Änderung. Die Reparatur war im herbst erfolgt, und den Winter über schliefen die Leute mit geschlossenen Fenstern und bekamen von der Änderung gar nichts mehr mit.
Als allerdings das Frühjahr kam, hagelte es Proteste.
"Warum hören wir nachts keinen Stundenschlag mehr? Wir wollen unseren Stundenschlag rund um die Uhr wieder!"
Der Kulturverein veröffentlichte bitterböse Briefe in der Lokalpresse über den Pfarrer, der die Glocken schweigen ließ. Es wurde in alten Archiven gestöbert und uralte Glockenreichnisverträge ausgegraben, in denen minutiös festgeschrieben war, wieviel Sack Kartoffeln und wieviel Scheffel Weizen jeder Bauernhof für den Stundenschlag entrichtete - um zu belegen, dass die Gemeinde als Ganze ein Anrecht auf einen Stundenschlag rund um die Uhr habe und der Pfarrer das keinesfalls ändern dürfe.
Alte Menschen mit Schlafschwierigekeiten (altersbedingte Insomnie) erzählten mir bei Besuchen, wie tröstlich es für sie sei, in schlaflosen Nächten die Zahl der Glockenschläge mitzuzählen und sich morgens daran zu erinnern, dass sie es noch dreiviertel Drei hätten schlagen hören und danach -Gott sei Dank- endlich in den Schlaf gesunken seien.
Fazit: Der Pfarrer gab der Gemeinde nach und ließ das Tableau wieder auf einen Stundenschlag rund um die Uhr umstellen.
Und da redest du von Glockenlärm?
Mich hat diese Episode gelehrt, dass in Traditionsgemeinden (nicht nur auf dem Land, denn besagte Kirchengemeinde liegt in der Peripherie von Nürnberg) Kirchenglocken noch viel mehr sind als ein schützenswertes Kulturgut.