... kommen sie, die Adventsgeier.
An meiner Haustür steht garantiert nicht "Aldi" oder "Lidl" oder sonst dergleichen.
Es steht dort auch nicht: "Floristik - und Dekorationsfachhandel".
Nein, es hängt dort seit Jahr und Tag das wenig auffällige Türschild "Evangelisch-Lutherisches Pfarramt".
Ich weiß nicht, warum es Leute gibt, die unser Pfarrhaus trotzdem mit einem Selbstbedienungsladen verwechseln. Obwohl: Verwechseln stimmt ja nicht. Denn selbst bei Aldi gibt's den Trödel nicht für lau.
Es muss also eher noch eine Steigerung der medial-marktwirtschaftlichen Auffassung sein, dass Geiz eine bestimmte Eigenschaft hat, wenn sie alle Jahre wieder bei uns einfallen, die Adventsgeier - oder wie soll ich sie sonst nennen, jene lichtsscheuen Gelichter, die sich an unseren Buchssträuchern, Zierapfelstauden und Nadelbäumen den Bedarf für ihre vorweihnachtliche Dekoration holen. Meist, wenn die Nacht vorgedrungen und der Tag nicht mehr fern ist und das Zwielicht des Morgens noch bedeckt, was das Licht des Tages zu scheuen hätte, höre ich es draußen rascheln und klacken. Und wenn ich schlaftrunken aus dem Fenster sehe, entschwinden dunkle Gestalten mit Reisigbündeln und sonstigem unterm Arm vom Kirchengrundstück, ihr Inkognito auch dadurch wahrend, dass sie mit dem flackernden Lichtkegel ihrer Meglite noch schnell über die Fenster des Pfarrhauses leuchten, damit der Pfarrer sie, geblendet, nur ja nicht identifizieren kann.
Doch auch tagsüber kommen sie - meist, wenn man gerade in der Küche und am Herd steht.
Jene Adventsgeier sind nun freilich keine armen Hartz IV - Empfänger. Nein, es sind durch die Bank Upper-Middle-Class - Leute.
Und diese zivilisiertere Gruppe von Adventsgeiern weiß immerhin, dass man ja gefälligst fragen muss, wenn man etwas "für umme" haben will, was beim Gärtner oder im Blumenladen viel Geld kostet.
"Wir haben gesehen, dass sie da so schöne Zieräpfel wachsen haben. Dürften wir uns davon ein paar abzwicken? Und vielleicht noch ein paar Buchszweige?"
Und der Pfarrer, dessen christliche Nächstenliebe durch die Sorge, es könnte derweil etwas anbrennen, deutlich erleichtert wird, antwortet: "Jaja, schneiden Sie sich ab, was sie brauchen."
Doch später hat er seine kleine große Geste dann bitter zu bereuen.
Es wurden nämlich nicht nur Buchszweige und Zieräpfel abgeschnitten, sondern, weil man ja schon mal dabei war, auch gleich der vermeintliche Abfall vom Adventskranzbinden nach noch Verwertbarem durchforstet. (Dass es sich dabei freilich um die vom Pfarrer ganz brav beim Gärtner gekauften privatenTannenzweige handelt, kann man doch nicht wissen! Und das Kirchengrundstück ist ja schließlich öffentlich-rechtlich.)
Zur Abrundung wird dann auch noch der wunderschöne Mistelzweig mitgenommen, den die Pfarrfrau beim gestrigen Adventsmarkt in der Schule käuflich erworben hat.
Die Kirche hat sich sicher etwas dabei gedacht, dass sie sich für den 1. Sonntag im Advent das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem ausgesucht hat, in dem es heißt: "Und sie hieben Zweige von den Bäumen und breiteten sie auf seinem Weg."
Es ist ja auch eher unwahrscheinlich, dass sie sie von ihren eigenen Bäumen abgehauen haben.