Der Angler ist ein sehr geduldiger Menschentyp. Er kann stundenlang in seinem Karpfenstuhl verweilen, ohne auch nur ein einziges mal die Pose aus den Augen zu verlieren. Er führt seinen Gummifisch immer mit höchstmöglicher Konzentration, um auch den kleinsten Zupfer mit einem ordentlichen Anschlag zu quittieren. Er beschäftigt sich am Wasser ausschließlich mit der Ausübung seines Hobby. Außer es befindet sich ein anderer Angler in unmittelbarer Nähe, mit diesem er dann über sein Hobby konservativeren kann, denn der Angler ist ein sehr geselliger Zeitgenosse.
Nun gibt es aber auch eine andere „Spezies“ des Anglers, wenn man diese überhaupt noch als „Angler“ bezeichnen kann. Denn dieser Vereinsangehörige beschäftigt sich während der Ausübung seines Hobbys nicht ausschließlich mit der Angelei. Er hört Musik während er „angelt“. Wenn man das was er hört überhaupt noch als „Musik“ bezeichnen kann, denn sie ist schnell, taktlos und wird oftmals viel zu laut gehört und das alles geschieht, während er seinen roten Rappala Wobbler durch den See zieht.
„Das hat doch nichts mehr mit Angeln zu tun!“, „Denen fehlt es an der Motivation und an der Ausdauer, deshalb fangen die auch kaum was“, so in etwa äußerten sich zwei erfahrene Angler zu dieser Thematik.
Genau diese Meinung vertrete ich auch. Das Angeln als ruhiges, entspannendes Naturerlebnis sollte nicht durch laute, schrille Töne gestört werden. Sie wissen es alle, es handelt sich hierbei primär um junge „Angler“.
Letzten Sonntag, welchen ich -wie so oft- an meinem kleinen Vereinssee verbracht habe, fand ich wiedereinmal einen von ihnen auf. Der Jugendliche (ich schätzte ihn auf 16 Jahre) hatte zwei lange Karpfenruten ausgelegt und führte neben seinem Stuhl gerade einen, wie ich fand, sehr sonderbaren Tanz auf, wobei er leise summte. Als er mich sah, brach er kurzum seinen wirren Tanz ab. Er nahm die Stöpsel aus den Ohren und grüßte mich freundlich. Natürlich grüßte ich ihn ebenfalls, nahm aber dann schnell Abstand auf. Etwas weiter traf ich auf einen „richtigen“ Angler, der gerade seine Montagen einkurbelte.
„Und? Hast was erwischt?“, er schüttelte den Kopf, „Nur Kraut“, „Wie lang warst da?“, „Sieben Stunden...“, „Du sag mal, wie lange ist den der Junge schon da?“, „Ist zur selben Zeit gekommen wie ich, warum?“, „Nur so“. Mit einem freundlichen „Servus“ schickte ich ihn zum Vereinsparkplatz, wo sein Audi schon sehnlich auf ihn wartete.
Ungefähr eine Stunde später hörte ich eine Rollenbremse surren. Ich nahm meinen angestrengten Blick kurz von meiner Pose weg und warf ihn dem Jungen zu, welcher gerade einen schönen Spiegelkarpfen ausdrillte. Die Ohrstöpsel hatte er rausgenommen und genau diese baumelten ihm jetzt an seinem schwarzen T-Shirt auf und ab, während der Karpfen über den Kescher glitt.
Langsam neigte sich der Tag seinem Ende zu. Die Sonne war nur noch ein paar Zentimeter über dem Horizont und meine Köder holten sich bei einem wunderschönen Sonnenuntergang fast von selbst ein. Als die Sonne unter die Erde gekrochen war, strahlten die Wolken hell und das letzte Sonnenlicht bildete sich in den dicken Wolkenschichten erst gelblich, dann rötlich ab. Die Farben vermischten sich und es entstand eine Atmosphäre, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde. Der Himmel blauschwarz, die Wolken feuerrot, der Horizont rot-gelblich.
Unter diesem wunderschönen Naturspektakel begab ich mich auf den Weg in Richtung Parkplatz und als ich die Angelstelle des „falschen“ Anglers passierte, sah ich den Jungen neben seinen Ruten im Gras sitzen. Fasziniert starrte er in den Sonnuntergang. Die Ohrstöpsel lagen neben ihm. Ich gratulierte ihm zu seinem Karpfenfang, woraufhin er mir nur sagte, dass er ihn wieder zurückgesetzt hätte. Wir verabschiedeten uns und ich begab mich auf die letzte Hundert-Meter-Strecke zum Parkplatz.
Während ich so ging fing ich das überlegen an.
„Der Junge ist zur selben Zeit gekommen wie ich“
„Sieben Stunden...“
„Denen fehlt es an der Motivation und an der Ausdauer, deshalb fangen die auch kaum was“
„Der Karpfen war so schön, den wollt ich nicht entnehmen“
„Sieben Stunden..., wie lange war ich da? Knapp drei Stunden...zehn Stunden“
„Das hat doch mit Angeln nichts mehr zu tun!“
„Sonnenuntergänge am Wasser faszinieren mich sehr“
Ich blieb stehen, drehte mich um, dachte noch einmal nach. Ging weiter.
Eine Woche später traf ich den jungen Angler wieder. Er erzählte mir, dass er Fotos von dem Sonnenuntergang gemacht habe. Dann drückte er mir einen Zettel in die Hand, wo folgendes geschrieben stand:
Fotos vom Sonnenuntergang -klick mich an-
Wenn Sie unter dem Bild auf „Sonnenuntergang am Baggersee“ klicken, sehen sie alle Bilder nebeneinander, unter Fotografenprofil gibt’s ein Bild von mir.