Gestern war ich an unserem Vereinsweiher angeln. Abgesehen hatte ich es auf die üblichen Verdächtigen (Rotaugen, Brassen & und was es noch so gibt). Da ging nix außer einem Brachsenzwerg. Allerdings kams danach ganz dicke - und zwar aus der Kategorie 'was es noch so gibt'. Wieder einmal wurde ich darüber belehrt, daß man immer mit allem rechnen muß. Daß zu fast allem eine gehörige Portion Glück gehört. Oder daß es ohne Teamwork in manchen Situationen einfach nicht mehr weitergeht. Und letztlich weiß ich nun auch, warum so viele Angler so gerne auf Karpfen angeln
Doch der Reihe nach:
Ich suchte mir einen Platz in der hinteren rechten Ecke, von dem ich wußte, daß sich sowohl Rotaugen als auch Brassen dort aufhielten. Wie immer montierte ich auf eine Angel eine Pose und legte die andere auf Grund. Zum Anfüttern hatte ich mir extra eine neue Schleuder gekauft (schon wieder), die diesmal endlich meinen Ansprüchen gerecht wurde. Mit der winzigen und leichten Schleuder schoß ich kleine Futterportionen unheimlich treffsicher an meine Angelstelle. Neben Fertigfutter, Paniermehl und Maden enthielt das Anfutter diesmal wieder Mais und erstmals etwas Forelli. Die Posenangel mit 23er Hauptschnur und einem 12er Häckchen am 18er Vorfach bestückte ich zunächst mit einigen Maden, was mir der erwähnte Brachsenzwerg auch gleich mit einem Anbiß vergalt. Um weitere Zwergfisch-Bisse zu vermeiden, beköderte ich im weiteren Verlauf des Tages nur noch mit Mais oder Mais und Maden in Kombination.
Nun...ab jetzt hatte ich Ruhe vor den Fischzwergen. Das bedeutete aber gleichzeitig auch Ruhe an den Ruten. In den nächsten Stunden ereignete sich dann auch außer einem kurzen Zupfer gar nichts mehr, von gelegentlichem Schnurf*** mal abgesehen, wenn der starke Wind die Schnur in die Ufergehölze trieb. Als sich zu dem ungemütlichen Wind noch ein immer stärker werdender Regen gesellte, beschloß ich, bald einzupacken, um den Rest des Tages noch in der warmen Wohnung zu verbringen. Bevor ich jedoch dazu kam, mußte ich die Schnur der Grundangel (wieder einmal) aus einem kleinen Bäumchen befreien. Zu diesem Zweck mußte ich die Posenangel notgedrungen einen Moment außer acht lassen, aber wieso sollte auch ausgerechnet jetzt ein Fisch beißen?
Wie ihr euch sicher denken könnt, kam der Biß natürlich genau in diesem Moment. Plötzlich begann die Rolle der Posenangel zu surren, nicht etwa in Rucken oder kurz, sondern schnell und ohne Unterbrechung wurde die Schnur heruntergezogen. Ich rannte die fünf Meter zur Posenrute hinüber und nahm sie zitternd in die Hände. Mein Gott - der Fisch hatte meinen ca. 15 m weit links gelegenen Angelplatz bereits überschwommen und mindestens die doppelte Strecke nach rechts am Ufer entlang zurückgelegt. Die Rute bog sich entsprechend in einem 90°-Winkel, während weiter Schnur heruntergezogen wurde. Und das ausgerechnet an meiner einzigen Rolle mit Frontbremse, einem Billigmodell von Silverman mit einem Kugellager, mit der ich noch nicht so recht umgehen gelernt hatte. Nach relativ kurzer Zeit, in der der Fisch netterweise nicht die Schnur abriß, hatte ich jedoch die Einstellungsprobleme überwunden, und der eigentliche Drill konnte beginnen.
In meinem bisherigen Anglerleben habe ich außer zwei drillmüden Brassen von 1,5 und 0,8 kg nur kleinere Fische unter 500 g gefangen, wobei die Schleien vergleichsweise noch am schwersten zu bändigen waren. Für meine Verhältnisse befand sich jetzt ein Gigant am anderen Ende der Rute! Mit klopfendem Herzen und fiebrigen Händen drillte ich den bisherigen Fisch meines Lebens. Während ich je nach Zugstärke behutsam die Bremse regulierte, mal einkurbelte und mal Schnur freigab, fragte ich mich besorgt, wann mein kleiner Winklepicker (den ich wieder mal für die Posenangelei zweckentfremdete) den extremen Zug und Winkel nicht mehr verkraften und mit einem satten Knacken durchbrechen würde. Aber vorher würde noch das dünne Vorfach reißen oder der vergleichsweise winzige Haken ausschlitzen.
Doch nichts von alledem passierte. Nach einer schier endlosen Zeitspanne - ich war bereits klatschnaß vom Regen und hatte keine Ahnung, wie lange ich schon mit dem Fisch kämpfte - merkte ich, wie sein Widerstand schwächer wurde, und ich konnte ihn langsam Meter um Meter herankurbeln. Schon glaubte ich, ihn in wenigen Minuten in meinen Kescher führen zu können, doch nur zehn Meter von mir entfernt lag ein kleines Bäumchen im Wasser, in das der Fisch flüchtete. Ich versuchte, ihn durch vorsichtiges Ziehen und Loslassen herauszubekommen, wobei er zwei mal der Oberfläche ziemlich nahe kam und gewaltige Blasen aufstiegen. Beim dritten mal konnte ich einen Moment einen Teil seines Körpers sehen: Mit großen Schuppen bedeckt, goldfarben - doch es war zu kurz, um es mit meiner geringen Erfahrung genau sagen zu können. Aber es gab eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder ein riesiger alter Brassen - oder ein Schuppenkarpfen.
Danach lief aber gar nichts mehr. Es ging weder vor noch zurück, und ich befürchtete, der Fisch könnte die Schnur so um die Äste gewickelt haben, daß weder er sich selbst noch ich ihn befreien könnte. Der Baum lag an der Stelle, wo sich Schnur und Fisch befanden, nur ca. 2,5 m weit im Wasser. Jetzt hätte ich ein Boot oder Wathosen gut gebrauchen können, dann hätte ich es alleine versucht, aber ich hatte ja keines von beiden. Mittlerweile goß es wie aus Kübeln, so daß außer mir weit und breit keine Menschenseele mehr zu sehen war. Jetzt hätte ich die Hilfe eines Karpfenanglers, die ich sonst ja regelmässig am Gewässer treffe, bitter nötig gehabt.
Aber ich hatte ja mein Handy! Ein Anruf, und eine halbe Stunde später waren zwei hilfsbereite Vereinskameraden zur Stelle. Der Regen hatte wieder etwas nachgelassen, was unsere Aufgabe erleichterte. Während der eine an der Angel blieb, schlugen sich der andere und ich durch den beginnenden Schilfgürtel zur betreffenden Stelle durch. Zum Glück war es dort nicht sumpfig, sondern bis zum Ufer gut begehbar. Wir stellten erfreut fest, daß die Schnur nur über dem Bäumchen lag und sich nicht verknotet hatte. Wenn der Fisch also noch dran war, sollte er durch Anheben der Schnur mit dem langen Kescher und gleichzeitiges Rütteln am Baumstamm aus demselben zu vertreiben sein. Beim Anheben kam der Fisch zum Vorschein: es war tatsächlich ein Schuppenkarpfen! Für routinierte Karpfenangler sicher ein kleines Exemplar, doch für mich war es ein Riese, der mit Abstand schwerste und stärkste Fisch, der sich bislang an meiner Angel wiederfand.
Wenige kurze Schwünge auf dem Baumstamm reichten aus, um den sichtlich erschöpften Karpfen zu einer verhaltenen Flucht Richtung Gewässermitte zu veranlassen, mehr war auch gar nicht erforderlich. Der Rest war relativ einfach; nach weiteren zwei oder drei Minuten landete der Fisch im Kescher. Den Haken hatte er statt im Maul hinter der rechten Brustflosse sitzen, unglaublich! Meine Vereinskameraden meinten, er hätte sich den Haken beim unvorsichtigen Gründeln dort reingehauen. Das klang plausibel, und ich war zunächst auch davon überzeugt. Doch abends beim Ausnehmen entdeckte ich, daß der linke Maulwinkel genau in der Mitte zerfetzt war, wie von einem ausgerissenen Haken. Ob der Fisch nun eher zufällig hineingeraten war oder tatsächlich richtig biß und danach in dem Gehölz den Haken erst herausriß und ihn sich gleich wieder an anderer Stelle reinrammte, wird ewig sein Geheimnis bleiben. Auf jeden Fall ist es ein echtes Wunder, daß ich diesen Fisch trotz allem noch landen konnte. Ohne die Hilfe meiner Vereinskameraden hätte ich das nicht geschafft. Und natürlich nicht ohne mehrfaches, riesiges Glück, denn alleine schon der normale Drill des Karpfens hätte irgendeine Schwachstelle in meinem leichten und 'preiswerten' Gerät nutzen können - von der Flucht ins Unterholz mal ganz abgesehen.
Ich bedankte mich bei meinen Vereinskameraden, die mir zum Abschluß noch ein paar leckere Rezepte mitgaben. Sie brachten mich überhaupt erst auf die Idee, den Karpfen mitzunehmen, denn sie sagten, in dieser Größe wäre er genau richtig für die Küche (seine Maße: 55 cm und 2,85 kg). Mal sehen, wie er schmeckt Für mich auf jeden Fall ein Tag, den ich nie vergessen werde: Meine Feuertaufe als Karpfenangler, völlig unerwartet, am viel zu leichten Gerät und vor allem viel früher, als ich das je für möglich gehalten hätte - aber dafür umso spannender, denn wer hätte vorher wohl darauf gewettet, daß ich diesen Fisch je landen würde? Niemand, am allerwenigsten ich selbst!
Angeln ist soooooo geil!!!!!