Die Mathestunde

  • Es war Ende vergangenen Jahres, als mich ein Freund in der Schule fragte, ob ich ihm nicht am Wochenende Mathe erklären könnte, da wir am Montag eine Prüfung vor uns hatten und er doch zwei Tage gefehlt habe, und weil ich mich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht wirklich mit dem Thema befasst hatte, stimmte ich gerne zu. Eine Millisekunde später erinnerte ich mich jedoch an die Wettervorhersage fürs Wochenende: „Leicht bewölkt...Temperaturen bis 25 Grad“. Der Gedanke daran, in einem staubigen Zimmer, über tausend Jahre alten Rechenformeln zu sitzen, während sich draußen am See die Karpfen in der Sonne wälzen, ließ mich Schaudern.


    Kurzer Hand erklärte ich meinem Schulfreund, von welcher Notwendigkeit es wäre, unsere Nachhilfestunde an meinen Angelsee zu verlegen. Wobei er natürlich sofort zustimmte, was uns dann, zwei Tage später, mit Polynomfunktionen und Boilies bewaffnet, an den kleinen, überschaubaren See führte.


    Nachdem ich meine Haarmontage an einer meiner Lieblingsstelle ausgeworfen und die Schnur meiner 80-Gramm-Karpfenrute in den Pieper gelegt hatte, setzten wir uns unter eine alte, Schattenspendende Birke, in das vom Morgentau noch leicht feuchte Gras. Es fiel uns beiden sehr schwer, das Gesprächsthema von den Dingen, die Spaß machen, auf die triste Mathematik zu wechseln, aber nach einer guten halben Stunde, brachten wir auch dies zustande.


    Man entschied sich gemeinsam, ein paar Übungsaufgaben durchzugehen und zu versuchen, die einzelnen Schritte nachzurechnen. Gut zwanzig Minuten waren mittlerweile verstrichen, in denen wir immer wieder von Joggern unterbrochen wurden, welche sich über das abstrakte Bild: „Angler unterm Baum mit Mathebuch“ wunderten, als ich plötzlich einen Dauerpiepton vernahm. Eine halbe Sekunde später, landeten die alten Griechen im Gras und ein starker Anschlag folgte einem schnellen Sprint. Das laute Surren der Rollenbremse übertönte ein paar quakende Frösche, die im hohen Schilf bis zu diesem Zeitpunkt ihre Paarung vollzogen hatten.


    Mein Herzschlag passte sich der Geschwindigkeit des vermeidlichen Großkarpfens sofort an. Die Hände zitterten unter den Tönen der Rollenbremse, ein Blick auf die verbleibenden Schnurreste ließ böses ahnen, schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Was wenn der Karpfen nicht stehen bleibt, ehe die letzten 20 Meter von der Rolle sind? Die Antwort folgte drei Sekunden später, der Unterwasser-ICE hörte abrupt auf zu schwimmen: Ausgeschlitzt!


    Nach einem Wurf mit zitterten Händen, kehrte ich mit Tiefhängenden Mundwinkeln zu meinem Freund zurück, der mich immer noch ganz verwundert über meinen plötzlichen Sprint anstarrte. An der Frage, ob das jetzt ein Fisch gewesen sei, führte leider kein Weg vorbei und ich parierte diese mit einem kurzen „Ja, war sogar ein großer, ist aber wieder ausgeschlitzt.“.


    Nachdem ich mich von dieser Stresssituation wieder erholt hatte und das Mathebuch von ein bis zwei Erdflecken befreit war, stellte sich bald heraus, dass wir beide große Probleme damit hatten, uns eine wichtige Formel zu merken. Jegliche Versuche, sich diese durch einfache Eselsbrücken zu merken, scheiterten. Zum Glück erlöste mich nach gut einer dreiviertel Stunde, ein Reihe von Kurzhintereinander folgenden Pieptönen. Der nachfolgende Zug war, im Gegensatz zum vorhergehenden, eher der Güterklasse zuzuordnen, etwas langsamer, aber auch nicht so leicht zu stoppen.


    Nach einem knapp neunminütigen Drill, konnte mein Freund, der total aus dem Häuschen war, weil er noch nie zuvor einen so großen Fisch gesehen hatte, mit dem Kescher einen schönen Schuppenkarpfen auf die Wiese befördern. Das nasse Schuppenkleid des zwölf Pfund schweren und 69 Zentimeter langen Karpfens glänzte im mittäglichen Sonnenschein.


    Nachdem wir den Fisch versorgt hatten, kam mir für die Eselsbrücke zur so schwermerkbaren Formel eine geniale Idee. Ich spielte ein Bisschen mit meinem Taschenrechner herum und fand heraus, dass man mit Hilfe von Zusammenzählen und Quadrieren der zwei Größenangaben des Karpfens auf einen Wert der Formel kommen konnte, vorausgesetzt man streckte den Fisch auf 70 Zentimeter und setzte nach zwei Stellen ein Komma: 67,24.


    Mein Freund war von dem Fisch dermaßen begeistert, dass er keine Probleme hatte, sich die Pfund- und Zentimeterangaben zu merken und da ich diesen Tag sowieso durch die Begegnung mit dem „Unterwasser-ICE“ noch Monate danach in guter Erinnerung besaß, war die Formel fortan auch für mich kein Merkproblem mehr.


    Am daraufhin folgenden Montag schrieben wir dann beide in der dritten Stunde unsere Matheprüfung. Nach dem Test, teilte mir das breite Lächeln meines Freundes alles mit, was ich wissen musste. Eine Woche später, saßen wir dann wieder unter dem selben Baum, mit einem Englischbuch...

  • Danke danke :)


    Aber als Schriftsteller müsste man dann auch über Themen schreiben, die mit Angeln gar nichts am Hut haben und das würd mir glaub ich den Spaß an der Sache nehmen ;)


    Aber was ich unbedingt schaffen will, ist nebenher ein Buch mit dem großen Thema Angeln zu schreiben. Ich mein jetzt überhaupt nicht Fachliteratur, sondern eben eine Geschichte oder vielleicht sogar ein philosophisches Ding: Warum Angeln? Was fasziniert einen so daran?, ... :)


    Eben so eins, was jeder Angler bei einem gemütlichen Ansitz gerne liest, aber auch ein Nicht-Angler verstehen kann.

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