Heute sollte endlich der Tag sein, auf den ich mich schon die ganze Woche gefreut hatte.
Ich hatte bereits seit Tagen meine Ausrüstung vorbereitet und alles lag an seinem Platz im Stauraumraum meines Wohnmobils.
Die vielversprechenden Geschichten über das neue Gewässer, das es heute zu beangeln galt, ließ meine Erwartungen in mir selbst unbegreifliche Höhen schnellen.
Die ehrfürchtig erzählten Erlebnisberichte der Einheimischen hatte ich geradezu aufgesogen, obwohl ich sonst ein sehr realistischer Mensch bin .
Sie handelten ohne Ausnahme von vehementen Bissen und den darauf jedes Mal folgenden Abriss nach kurzem, brachialen Drill.
Da es sich bei den Erzählungen ausschließlich um Bereiche der Raubfischangelei handelte, ging ich von einem gewaltigen Waller-, oder
überdimensioniertem Hechtbestand aus, den es heute zu überlisten galt.
Dementsprechend hatte ich auch meine Ausrüstung zusammengestellt, um nicht die selben unliebsamen Fischverluste erleiden zu müssen.
Ich würde alleine sein an diesem traumhaften Gewässer in mitten einer Waldlichtung wurde mir gesagt – denn seit mehr als einem Jahrzehnt hatte sich kein Angler
an dieses Gewässer mehr herangetraut.
Die Warnungen über verschwundene Haustiere vom Schäferhund bis zum ausgewachsenen Rind, sowie über unvorsichtige Badegäste, die man bis heute nicht gefunden hätte,
verwies ich ins Land der Fabeln und der regen Phantasie.
Als ich ankam traute ich meinen Augen kaum – ein traumhafter, naturbelassener Waldsee mit versunkenen, halb aus dem Wasser ragenden Baumleichen lag, umrahmt von knorrigen Eichen und sanft abfallenden Wiesensäumen vor mir.
Eine Entenfamilie pflügte ruhig durch das Gewässer und versuchte, den täglichen Nahrungsbedarf zu decken.
Meine Platzwahl hatte ich rasch abgeschlossen.
Da ich mich schwerpunktmäßig auf das Spinnfischen vorbereitet hatte erschien mir die rechte Uferseite mit dem versunkenen Holz die interessantere, da im Wiesenbereich das Wasser zwar ebenfalls tief abfiel, jedoch reichlich Wasserpflanzen bis knapp unter der Oberfläche zu erkennen waren.
Flugs griff ich zu einer meiner Spinnruten, montierte einen 15cm langen Schwimmwobbler und schickte diesen in den freien Raum zwischen die Baumstümpfe.
Das Wasser lag dunkel und bräunlich gefärbt im Schatten der Bäume und mein Wobbler verschwand auf Zug in den Tiefen.
Nachdem ich einige Würfe gemacht hatte, wechselte ich zum nächsten Baumstamm – und zum nächsten – und .....
..... nach 3 vergeblichen Stunden, in denen ich außer reichlichen Kontakten mit Geäst und vehementen Hängern mit keinerlei Raubfischen in Berührung kam,
stiegen dann doch gewisse Zweifel in mir hoch.
War es nicht möglich, dass die Abrisse der einheimischen Angler lediglich von den reichlich vorhandenen Unterwasserhindernissen zeugten als von riesigen Räubern, die am Gewässergrund auf Beute lauern.
Nun ja, ich konnte im Gegensatz zu den damaligen Anglern meine Hänger lösen .... lag aber eher an den modernen Komponenten meiner Ausrüstung und der neuartigen Geflochtenen ..... oder sollte ich gar nur auf den Arm genommen worden sein ....
... ich hörte förmlich das Lachen der Männer, die sich gerade am Stammtisch der Dorfgaststätte über meine Leichtgläubigkeit ausließen ....
.... doch Moment mal - das „Lachen“ war nicht nur eingebildet sondern Realität! Die Entenfamilie zeterte auf der anderen Seite bei den Wasserpflanzen.
Ich warf den Wasservögeln einen verächtlichen Blick zu, der in etwa auszusagen schien: Na toll, geht’s noch – macht Ihr Euch auch noch lustig über mich!
Mein Blick erstarrte. Ungläubig, ob meiner gemachten Beobachtung, ließ ich den Blick über die Wasseroberfläche schweifen.
Täuschten mich meine Sinne oder waren da vorher nicht mehrere Mitglieder des Entenclans unterwegs?
Nach mehreren Minuten Beobachtungszeit war ich mir absolut sicher, dass es sich auf keinen Fall um einen längeren Tauchgang oder eine optische Täuschung handeln würde.
Ich war mir absolut sicher, dass definitiv mindestens ein oder zwei der Küken fehlten.
Wenige Minuten später stand ich auf dem Wiesengrund und beobachtete die ruhig vor mir liegende, spiegelglatte Wasseroberfläche, da sich die Entenfamilie bereits aus dem Staub gemacht und sich die kleinen, von ihnen erzeugten Wellen wieder gelegt hatten.
Nichts, aber auch gar nichts Fischartiges ließ sich mit der Polbrille erkennen - nur die Enden der Wasserpflanzen, die einen halben bis ganzen Meter unter der Oberfläche zu sehen waren.
Sei`s drum, dachte ich mir, weniger wie nichts ist allemal nicht möglich. Also denn – frisch ans Werk!
Mein Wobbler flog in hohem Bogen in Richtung Horizont – wurde jedoch von der Schwerkraft nach knapp 40 m zum Kontakt mit dem Waldseewasser gezwungen.
Hochkonzentriert holte ich die ausgeworfene Geflochtene zurück auf meine Stationäre und achtete dabei, dass der Kunstköder nur knapp unter der Oberfläche spielte.
Plötzlich spürte ich einen Wiederstand – Anhieb – sitzt!
Jedoch fehlten zu meiner Enttäuschung die erwarteten Fluchten, das wilde Kopfschütteln ...... Es war lediglich ein Hänger. Sch... Wasserpflanzen!
Ich versuchte den Hänger zu lösen, jedoch dieser erwies sich als hartnäckig. Je mehr ich zerrte, desto fester schien sich mein Wobbler zu verhaken.
Ich legte die Rute aus der Hand und wühlte in meiner Angeltasche nach dem Schlagholz, um durch gezielten Abriss dem Trauerspiel ein Ende zu bereiten.
Nachdem ich fündig geworden war und wieder aufblickte traute ich meinen Augen kaum. Meine Rute wurde langsam aber beständig in Richtung Ufer gezogen.
Mit einem Sprung war ich zur Stelle, setzte einen erneuten Anhieb und ....... – es war genau wie vorher. Nichts was an ein pralles Leben am anderen Ende der Sehne hindeuten würde.
Entgeistert hielt ich meine Gerte in den Händen – was bitteschön sollte das gewesen sein? Doch plötzlich spürte ich, wie sich die Schnur kontinuierlich weiter auf Spannung begab. Langsam aber stetig. Als wenn ein gehakter Baumstamm langsam nach unten sinken würde.
Ich versuchte dagegen zu halten und lehnte mich mit meinem ganzen Körpergewicht nach hinten - jedoch die Kräfte der Rollenbremse und der Rute waren zu schwach, was sich durch eine dreifache Kettenreaktion bemerkbar machte:
Die Rute brach genau an der Steckverbindung - ich landete nach einem geschmeidigen Rückschwung hart auf dem Rücken im Gras – durch die Schockbelastung verabschiedete sich mein Wobbler samt vermeintlichem Fang durch einen Abriss der Hauptschnur.
Ich rappelte mich auf und kurbelte missmutig die lose Schnur ein und begutachtete die gerissene Geflochtene.
Sie sah auf circa 10 cm faserig und durchgescheuert aus. Lediglich grüne Pflanzenreste hingen noch an dem aufgerauten Geflecht.
Fisch oder nicht Fisch – das war nun die Frage.
Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und dafür richtige Geschütze aufzufahren.
Die „unkaputtbare“ Wallerrute aus Glasfaser schien mir in etwa die richtige Dimension für mein Vorhaben zu sein. Meine Penn Multirolle mit 80er geflochtener, abriebfester Schnur, war flugs auf die Rute geschraubt, ein 1 m langes Hai-Stahlvorfach mit 10/0 er Haken an den ich eine noch halbgefrorene Karausche aus meiner Kühlbox anköderte, hatte ich im Nu montiert, eine Styroporkugel aus dem Bastelladen diente, direkt aufs Vorfach gezogen, als Schwimmer, der den Köder knapp einen Meter unter der Wasseroberfläche halten würde und aus den Tiefen des Stauraums kramte ich einen Rutenhalter, den ich mir extra für die steinigen Böden meines letzten Angelausflug an den Ebro bauen ließ.
Den 80cm langen Edelstahldorn des Rutenhalter versenkte ich im Hohlraum eines Baumstumpfes. Darin fand er ausreichend Halt, konnte aber noch ordentlich nach hinten gezogen werden ohne die Rute daraus zu lösen.
Meine Montage flog gerade eben mal 20 Meter weit, lag jedoch zufriedenstellend über den Pflanzen. Sollte sich da etwas zwischen dem Bewuchs verstecken – meine Montage würde es schon ans Tageslicht befördern.
Ganz langsam sank mein „Schwimmer“ unter die Oberfläche. Das konnte eigentlich nicht sein, da er ein mehrfaches des Gewichtes der Beköderung halten würde.
Sollte etwa – ich nahm die Rute aus dem Halter, schaltete den Freilauf aus, ging auf Spannung und setzte einen gefühlvollen aber auch konsequenten Anhieb.
Ja - Sitzt!
Ich spürte den Widerstand – aber wieder ereignete sich das Gleiche wie vor hin – Nichts, außer einem gleichmässigen, langsamen Zug wie in Zeitlupe.
Doch darauf war ich diesmal vorbereitet. Ich gab Schnur frei, stellte den Wallerknüppel in den Rutenhalter und kurbelte die Montage bei festgedrehter Bremse auf Spannung, zündete mir eine Zigarette an und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Ganz langsam begann sich der Blank zu spannen und die Spitze neigte sich Richtung Wasser. Je mehr Druck aufkam, desto parabolischer bog sie sich bis hinab ins Griffteil. Die Schnur begann zu singen und meine Spannung war genauso extrem wie die der Schnur.
Meine Zigarette war fast aufgeraucht, als Stillstand in dem zeitlupenartigen Drill aufkam.
„Patt!“, sagte ich laut zu mir – jetzt war ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt. Ich drückte die Glut des Stummels in meinem Reiseaschenbecher aus und nahm die Rute mit beiden Händen in festen Griff, ohne diese jedoch aus dem Rutenhalter zu nehmen.
Nun verschob ich das austarierte Kräfteverhältnis zu meinen Gunsten, indem ich meine ganze Kraft und mein doch recht ansehnliches Körpergewicht einsetzte, um die gesamte Angel mit Rutenhalter zusätzlich nach hinten zu führen.
Mir platzten fast die Adern meiner Oberarme und ich dachte schon beinahe ans Aufgeben – da löste sich mit einem Ruck die extreme Spannung und ich fühlte, dass etwas kraftlos an der Montage hing, sich scheinbar jedoch durch leichte Gegenwehr bemerkbar machte.
Voller Neugier kurbelte ich den Fang Richtung Ufer und meine Enttäuschung wuchs ins unermessliche, als ich die lange, blättrige Wasserpflanze an meiner Montage hängen sah. Meine letzte Hoffnung war noch, dass sich ein fetter Aal in dem Pflanzenarm befand, jedoch wurde diese ebenfalls zerschlagen als ich den Strunk zur Hälfte auf die Wiese gezogen hatte.
Ich versuchte mit zittrigen Fingern die um mein Vorfach gewickelten Triebe zu lösen welche sich aber als mehr als hartnäckig und widerstandsfähig erwiesen und sich obendrein mit feinsten Bürstenhaaren an der Haut festzusetzen zu schienen. Also entschloss ich mich, das längere Stück, das noch zum Teil im Wasser lag mit meinem scharfen Messer zu kappen.
Ich durchtrennte mit einem Schnitt unterhalb des Hakens den Pflanzenstiel, worauf dieser mit einem Ruck zurückschnellte und im Wasser verschwand.
Ich traute kaum meinen Augen – sollte etwa ....? Nein, ich wollte diesen Gedanken nicht zu Ende bringen, da sich in mir der Realist dagegen wehrte.
Es hatte sicher alles eine logische Erklärung - .....
Mir schossen wieder die vernommenen Geschichten von den verschollenen Badegästen durch den Kopf – die Ammenmärchen aus meiner Kindheit über Wasserpflanzen, die ahnungslose Schwimmer unter Wasser zogen und ..... Quatsch! – Schluß jetzt mit dem Humbuk – wie bitteschön sollte so etwas Realität sein!
Ich versuchte meine Gedanken zu sortieren und mich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren.
Meine Montage musste noch gesäubert werden und ......
...... Fassungslos blickte ich auf den verbleibenden Rest der Wasserpflanze, der sich um den Haken gewickelt hatte und es schien mir, dass ein leichtes Zittern durch die Fasern flog.
Mich packte das nackte Grauen! In meiner aufkommenden Panik ob des soeben erlebten Geschehens, hakte ich das Vorfach komplett aus und schleuderte es so weit es mir möglich war in die dunklen Fluten des Waldsees.
Der Wind kräuselte just in diesem Moment die Oberfläche in meiner Richtung und es schien mir gerade so, als ob „es“ auf mich zukommen würde.
Mein letzter Funken Gelassenheit wurde ausgelöscht als mir der kühle Windhauch über das Gesicht strich.
Hektisch raffte ich meine umherliegenden Utensilien zusammen und verließ eiligen Schrittes den grausigen Ort, der meine Kindheitsängste vor Wasserpflanzen wieder aufleben ließ.
Nie wieder werde ich bedenkenlos durch ein natürliches Gewässer schwimmen können!